Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
welche alle nur nach Nishny-Nowgorod gingen, schienen zu ihrem Glücke unverdächtig.
    Das junge Mädchen für ihre Person brachte keinen eigentlichen Reisepaß hervor, der ja im Innern Rußlands jetzt nicht mehr verlangt wird, sondern einen Schein mit besonderem Siegel, welcher ganz specieller Art zu sein schien.
    Der Beamte las ihn aufmerksam durch. Dann sagte er nach sorgfältiger Musterung Derjenigen, deren Signalement der Schein enthielt:
    »Du bist aus Riga?
    – Ja, erwiderte das junge Mädchen.
    – Und willst nach Irkutsk?
    – Ja.
    – Auf welchem Wege?
    – Auf der Straße über Perm.
    – Gut, antwortete der Inspector. Vergiß in Nishny-nicht, Deinen Schein durch das Polizei-Amt visiren zu lassen.«
    Das junge Mädchen verneigte sich bejahend.
    Als er diese Fragen und Antworten hörte, empfand Michael Strogoff gleichzeitig eine gewisse Bewunderung und ein ehrliches Mitleid. Wie! Dieses Kind war auf der Reise nach dem entlegenen Sibirien, und noch dazu jetzt, wo zu den gewöhnlichen Unzuträglichkeiten noch alle Gefahren eines von Feinden überschwemmten, aufrührerischen Landes hinzutraten! Wie würde sie ankommen? – was aus ihr werden? …
    Nach Schluß der Inspection wurden die Waggonthüren geöffnet, doch bevor Michael Strogoff auch nur eine Bewegung gegen sie machen konnte, war die junge Liefländerin bereits ausgestiegen und unter der Menge, welche die Perrons bedeckte, verschwunden.
Fünftes Capitel.
Eine Verordnung mit zwei Artikeln.
    Nishny-Nowgorod, Unter-Nowgorod, am Zusammenflusse der Wolga und Oka, ist die Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements. Hier mußte Michael Strogoff den Schienenweg verlassen, der jener Zeit über die Stadt noch nicht hinausreichte. Je weiter er vorwärts kam, desto unsicherer wurden die Communicationsmittel.
    Nishny-Nowgorod, das gewöhnlich nur 30-35,000 Einwohner zählt, beherbergte jetzt über 360,000 Seelen, d.h. die Kopfzahl hatte sich verzehnfacht Dieser Zuwachs rührte von der weltberühmten Messe her, welche in seinen Mauern, eigentlich nur drei Wochen lang, abgehalten wurde. Früher erfreute sich die Stadt Makariew dieses Zusammenflusses so vieler Fremden, seit dem Jahre 1817 aber ward die große Messe hierher verlegt.
    Die sonst ziemlich düstere, einsame Stadt war jetzt der Schauplatz der lebhaftesten Bewegung. Zehn verschiedene Racen europäischer und asiatischer Kaufleute fraternisirten hier, so lange gegenseitige Handelsgeschäfte im Spiel waren.
    Trotz der vorgeschrittenen Stunde, zu welcher Michael Strogoff den Bahnhof verließ, regte sich doch in den beiden durch das Bett der Wolga getrennten Stadttheilen Nishny-Nowgorods noch ein ungeheures Leben. Von jenen Theilen ist die obere, auf einem abschüssigen Felsen erbaute Stadt von einer jener Festungsanlagen vertheidigt, die man in Rußland ganz allgemein »Kreml« zu nennen pflegt.
    Wäre Michael Strogoff genöthigt gewesen, sich in Nishny-Nowgorod längere Zeit aufzuhalten, so hätte er wohl Mühe haben sollen, ein Hôtel oder doch eine halbwegs passende Herberge zu finden, – Alles war überfüllt. Da er indeß auch nicht unmittelbar weiter reisen, sondern nur den nächstabgehenden Wolgadampfer benutzen konnte, so mußte er sich doch wohl oder übel wenigstens ein Nachtlager suchen. Vorher trieb es ihn indeß, sich über die Abfahrtszeit des Dampfbootes zu unterrichten; deshalb begab er sich sofort nach den Bureaux der Gesellschaft, deren Schiffe den Dienst zwischen Nishny-Nowgorod und Perm versehen.
    Dort erfuhr er zu seinem großen Mißvergnügen, daß der »Kaukasus« – so hieß das reisefertige Schiff – erst zu Mittag am nächsten Tage abgehen werde. Siebenzehn Stunden Aufenthalt! Das war unangenehm für einen Mann, der es eilig hatte, und doch mußte er sich darein finden. Er that es auch ruhig, da er nicht unnöthig zu außergewöhnlichen Mitteln greifen wollte.
    Uebrigens hätte ihn unter den gegebenen Umständen auch kein Teleg oder Tarantaß, keine Berline oder Postchaise und kein Reitpferd schneller nach Perm oder Kasan befördert. Immer blieb es das Beste, die Abfahrt des Steamers zu erwarten – jenes Beförderungsmittels, das ihn schneller als jedes andere vorwärts schaffen und die hier verlorene Zeit reichlich wieder einbringen mußte.
    Michael Strogoff schlenderte also durch die Stadt und suchte dabei ohne Uebereilung ein Unterkommen, in dem er die Nacht zubringen könnte. Der letztere Zweck lag ihm zwar gar nicht sonderlich am Herzen, und ohne das Gefühl des Hungers, das

Weitere Kostenlose Bücher