Der Courier des Czar
doch anders bezüglich der Officiere. Schon seit dem Tage vorher flogen die Feldjäger und Adjutanten aus dem Palaste des Gouverneurs nach allen Richtungen der Windrose. Ueberall verrieth sich eine ungewöhnliche Bewegung, welche man sich allein durch den Ernst der Ereignisse erklären konnte.
Seiltänzer und Akrobaten betäubten mit dem Spektakel ihrer Orchester. (S. 61.)
Die Stafetten jagten einander auf den Straßen der Provinz, sowohl in der Richtung von Wladimir, als nach dem Ural zu. Zwischen Moskau und St. Petersburg wechselten die Telegramme unaufhörlich. Die Lage Nishny-Nowgorods, unsern der sibirischen Grenze, erheischte offenbar durchgreifende Vorsichtsmaßregeln. Man durfte nicht vergessen, daß die Stadt im 14. Jahrhundert zweimal von den Vorfahren jener Tartaren eingenommen worden war, welche Feofar-Khan’s Ehrgeiz jetzt durch die Kirghisensteppen jagte.
Die Verordnung des Gouverneurs. (S. 66.)
Eine andere hohe Person, den Polizeipräfecten, drückte die Last der Geschäfte nicht weniger, als den Generalgouverneur. Seine Beamten und er selbst, denen es oblag, Ordnung zu erhalten, Beschwerden entgegen zu nehmen, die Ausführung aller Reglements zu überwachen, kamen nicht dazu, die Hände in den Schooß zu legen. Die Tag und Nacht geöffneten Räume des Polizeiamtes waren unaufhörlich belagert, ebenso von Einwohnern der Stadt, wie von Fremden aus Europa und Asien.
Michael Strogoff befand sich gerade auf dem großen Mittelplatze, als sich das Gerücht verbreitete, der Polizeipräfect sei soeben durch Estafette zum Generalgouverneur berufen worden. Eine wichtige, von Moskau eingegangene Depesche solle die Veranlassung hierzu sein.
Der Chef der Polizei begab sich also nach dem Palaste des Generalgouverneurs, und bald circulirte auch die Neuigkeit, wie in Folge einer allgemeinen Ahnung, daß eine eingreifende, ganz unerwartete und außergewöhnliche Maßnahme in Aussicht stehe.
Michael Strogoff lauschte auf das Gerücht, um im Nothfall davon Nutzen zu ziehen.
»Man will die Messe schließen! rief der Eine.
– Das Regiment Nishny-Nowgorod hat den Befehl zum Ausrücken erhalten! meinte ein Anderer.
– Man sagt, die Tartaren bedrohen schon Tomsk!
– Da kommt der Polizeipräfect!« scholl es von allen Seiten.
Ein wüstes Geschrei hatte sich plötzlich erhoben, legte sich dann allmälig und machte einer lautlosen Stille Platz. Jeder fühlte, daß jetzt eine wichtige Mittheilung seitens des Generalgouvernements erfolgen werde.
Der Chef der Polizei hatte eben, gefolgt von einem Troß Beamter, den Palast des Regierungsstellvertreters verlassen. Eine Abtheilung Kosaken begleitete ihn und brach ihm durch rücksichtslos ausgetheilte und geduldig hingenommene Rippenstöße Bahn durch die Menge.
Der Polizeipräfect gelangte so nach der Mitte des centralen Platzes, wo Jedermann sehen konnte, daß er ein Papier in der Hand hielt.
Dort angekommen, verlas er mit lauter Stimme:
» Verordnung des Gouverneurs von Nishny-Nowgorod .
1) Kein russischer Unterthan darf, es sei aus welchem Grunde es wolle, das Land verlassen.
2) Alle Fremden asiatischer Herkunft haben binnen vierundzwanzig Stunden das Land zu verlassen.«
Fußnoten
1 Eine Art Blättergebackenes.
Sechstes Capitel.
Bruder und Schwester.
In viele Privatinteressen mochten diese Verordnungen sehr unangenehm eingreifen; die Umstände rechtfertigten sie gewiß vollkommen.
»Kein russischer Unterthan darf das Land verlassen«; – wenn sich Iwan Ogareff jetzt noch hier aufhielt, mußte er verhindert oder es ihm mindestens ungemein erschwert werden, sich Feofar-Khan wieder anzuschließen, womit Letzterem der beachtenswertheste Unterbefehlshaber entzogen wurde.
»Alle Fremden asiatischer Herkunft haben binnen vierundzwanzig Stunden das Land zu verlassen«; damit schaffte man sich gründlich alle jene Händler aus Innerasien vom Halse, alle Zigeuner und anderes Gesindel, welches mit den Tartaren und Mongolen mehr oder weniger verwandt ist und das die Messe hier zusammengehäuft hatte. So viele Köpfe, so viele Spione; ohne Zweifel erschien ihre Vertreibung bei der jetzigen Sachlage dringend angezeigt.
Man begreift aber leicht den Eindruck dieser beiden Donnerschläge, welche auf die Stadt Nishny-Nowgorod niederfielen, die von denselben offenbar empfindlicher als jede andere getroffen wurde.
Einheimische, deren Geschäftsangelegenheiten sie vielleicht über die sibirische Grenze gerufen hätten, konnten das Land also nicht
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