Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
»Seeleute der Wolga«, die auf dem Boden saßen, wie auf dem Verdeck ihrer Barken, und unter dem Taktstocke eines Orchesterdirigenten, eines wirklichen Untersteuermanns dieses imaginären Schiffes, gleichzeitig Ruderbewegungen nachahmten.
    Da, welch’ eigenthümliche und reizende Sitte! Ueber den Köpfen dieses Menschenknäuels flogen ganze Wolken von Vögeln aus den Käfigen, in denen man sie zu Markte gebracht hatte, davon. Nach einem in Nishny-Nowgorod sehr beliebten Gebrauche öffneten die Kerkermeister der Vögel gegen einige von gutmüthigen Seelen gespendete Kopeken ihren befiederten Gefangenen die Pforten und diese flatterten zu Hunderten mit freudigem Gezwitscher hinaus.
    Das etwa war das Bild dieses Platzes, so blieb es auch während der sechs Wochen, so lange die berühmte Messe zu Nishny-Nowgorod gewöhnlich dauert. Nach dieser geräuschvollen Periode erstirbt der ungeheure Lärm wie durch einen Zauber, die obere Stadt gewinnt ihren officiellen Charakter wieder, die untere versinkt zu ihrer gewöhnlichen Eintönigkeit, und von all diesem ungeheuren Zusammenfluß von Kaufleuten, welcher aus aller Herren Länder in Europa und Asien quillt, bleibt kein einziger Verkäufer zurück, der irgend etwas ausböte, noch auch nur ein einziger Einkäufer, der irgend etwas zu erhandeln suchte.
    Es verdient wohl bemerkt zu werden, daß England und Frankreich bei der dermaligen Nishny-Nowgoroder Messe durch zwei hervorragende Mustererzeugnisse der modernen Civilisation vertreten waren, – durch die Herren Harry Blount und Alcide Jolivet.
    Die beiden Correspondenten hatten sich nämlich zunächst hier eingefunden, um zum Besten ihrer Leserkreise Eindrücke zu sammeln, und nutzten auch die wenigen freien Stunden nach besten Kräften aus, denn sie wollten ebenfalls mit dem Dampfer »Kaukasus« weiter reisen.
    Sie begegneten sich gerade auf dem Meßplatze, ohne sonderlich darüber zu erstaunen, denn der nämliche Instinct mußte sie ja auf ein und dieselbe Spur leiten. Diesmal wechselten sie aber keine Silbe mit einander, sondern beschränkten sich auf eine gegenseitige, etwas kühle Begrüßung.
    Alcide Jolivet, ein Optimist von Haus aus, glaubte zu finden, daß hier Alles nach Wunsch und Ordnung gehe, und da der Zufall ihm ein gutes Unterkommen und schmackhafte Tafel bescheert hatte, bereicherte er sein Notizbuch um einige für die Stadt Nishny-Nowgorod sehr empfehlende Anmerkungen.
    Harry Blount dagegen, der erst lange Zeit nach einem Abendbrode umhergetrollt war, hatte endlich gar unter freiem Himmel übernachten müssen. Er sah demnach Alles von einem ganz anderen Gesichtspunkte aus und überlegte sich schon einen geharnischten Artikel über die Stadt, in der die Hôteliers die Reisenden von der Thür wiesen, welche doch bereit waren, sich »moralisch und physisch mißhandeln zu lassen«.
    Michael Strogoff schien, als er so die eine Hand in der Tasche und mit der anderen eine lange Pfeife mit Vogelkirschbaumrohr hielt, der gleichgiltigste und am mindesten ungeduldige von Allen. Indeß hätte es ein feinerer Beobachter an dem leichten Runzeln seiner Brauen wohl erkannt, daß er an seinem Zaume nagte.
    Schon seit etwa zwei Stunden ging er zwecklos durch die Straßen der Stadt, um immer wieder nach dem Meßplatze zurückzukehren. Als er sich da so durch die Menge wand, bemerkte er an allen Kaufleuten aus den benachbarten asiatischen Ländern eine offenkundige Unruhe. Die Geschäfte lahmten sichtlich. Zwar setzten die verschiedenen Taschenspieler, Seiltänzer und Equilibristen ihr Geschrei keineswegs aus; das begreift sich wohl, da sie ja mit keinem Risico bei irgend einer Speculation betheiligt waren; die Händler aber zauderten, sich mit den Kaufleuten aus Central-Asien einzulassen, deren Heimat durch den Tartarenangriff bedroht erschien.
    Hier noch ein anderes Symptom, welches nicht mindere Beachtung verdiente. In Rußland erblickt man den Soldaten überall. Die Mitglieder des Heeres mischen sich mit Vorliebe unter die Menge, und vor Allem finden die Polizeibeamten gerade zur Zeit der Messe zu Nishny-Nowgorod eine allzeit bereite Hilfe an den zahlreichen Kosaken, welche mit der Lanze auf der Schulter für Aufrechterhaltung der Ordnung unter dieser Masse von 300,000 Fremdlingen sorgen.
    Heute fehlte es auf dem Meßplatze sichtlich an Soldaten, an Kosaken wie an anderen. Ohne Zweifel blieben sie im Hinblick auf ein plötzliches Ausrücken in ihren Kasernen consignirt.
    Wenn aber keine Soldaten zu sehen waren, so lag das

Weitere Kostenlose Bücher