Der Courier des Czar
specielle Mission berechtigte, nach Sibirien zu reisen.
Die Ausländer auf dem Dampfer konnten offenbar nur von den Tagesereignissen, jener Verordnung und ihren Folgen, sprechen. Die armen Leute, welche kaum die Strapazen einer Reise durch das innere Asien hinter sich hatten, sahen sich gezwungen, wieder umzukehren, und wenn sie ihrem Zorn nicht in lautem Ausbruche Luft machten, so lag die Ursache nur darin, daß sie das nicht wagten. Eine respectvolle Furcht hielt sie zurück. Möglicher Weise befanden sich zur Ueberwachung der Reisenden auch auf dem »Kaukasus« geheime Polizisten; da galt es, die Zunge im Zaum zu halten, denn diese Austreibung war der Einsperrung in einer Festung doch immer noch vorzuziehen. Deshalb schwiegen auch die meisten Gruppen oder flüsterten sich die Worte gegenseitig nur so vorsichtig zu, daß daraus im Zusammenhange nichts zu entnehmen war.
Konnte Michael Strogoff aber von dieser Seite nichts vernehmen, oder schwiegen die Leute wohl auch ganz und gar – denn man kannte ihn ja nicht, – so traf sein Ohr dafür der Laut einer Stimme, welche ziemlich unbesorgt zu sein schien, ob sie gehört wurde oder nicht.
Der Mann mit der hellen Stimme sprach russisch, aber mit fremdem Accente, und sein mehr zugeknöpfter Nachbar antwortete ihm in derselben Mundart, welche offenbar auch seine Muttersprache nicht war.
»Wie! rief der Erste, wie, auf diesem Schiffe, Herr College, Sie den ich bei dem Feste des Kaisers in Moskau und dann erst in Nishny-Nowgorod wieder sah?
– Gewiß, ich selbst! entgegnete trocken der Andere.
– Nun, frei heraus gesagt, ich erwartete nicht, daß Sie mir so unmittelbar, so auf den Fersen folgen würden.
– Ich folge Ihnen nicht, mein Herr, ich gehe Ihnen voraus.
– Vorausgehen! Vorausgehen! Wir wollen wenigstens sagen, wir marschiren gleichen Schrittes in der Front, wie zwei Soldaten bei der Parade, und vorläufig könnten wir übereinkommen, Keiner dem Anderen zuvor zu kommen.
– Ich werde es doch thun!
– Das wird sich erst auf dem Kriegsschauplatze zeigen; doch bis dahin können wir, zum Teufel, doch Reisegenossen sein. Später werden wir noch Zeit genug finden, gelegentlich Rivalen zu werden.
– Feinde!
– Meinetwegen auch Feinde! Ihre Worte, Herr College, besitzen eine Klarheit des Ausdrucks, welche mich höchst angenehm berührt. Bei Ihnen weiß Einer doch, woran er ist.
– Nun, was ist daran so schlimm?
– O nichts, gar nichts! Erlauben Sie, daß auch ich mir die Freiheit nehme, unseren gegenseitigen Standpunkt festzustellen.
– Nach Belieben.
– Sie gehen nach Perm … wie ich?
– Wie Sie.
– Und begeben sich von Perm aus wahrscheinlich nach Jekaterinburg, auf dem besten und sichersten Wege zur Ueberschreitung des Uralkammes.
– Wahrscheinlich.
– Nach Ueberschreitung der Grenze werden wir in Sibirien, d.h. inmitten des überfallenen Gebietes sein.
– So ist es.
– Nun dann, aber auch erst dann wird es Zeit sein, zu sagen: ›Jeder für sich und Gott mit …‹
– Gott mit mir!
Er wollte die Stufen nach dem Vordercastell hinaufsteigen … (S. 84.)
– Gott mit Ihnen! Ganz allein! Sehr schön! Da wir indeß noch acht neutrale Tage vor uns haben und es unterwegs voraussichtlich keine Neuigkeiten regnen dürfte, so lassen Sie uns Freunde sein, bis wir zu Rivalen werden.
– Zu Feinden!
– Ja wohl, das ist richtiger: Zu Feinden! Bis dahin können wir aber in Uebereinstimmung handeln und brauchen uns gegenseitig nicht zu verzehren!
Ich verspreche Ihnen überdies, Alles für mich zu behalten, was ich etwa sehe …
– Und ich Alles, was ich etwa höre.
– Abgemacht?
– Abgemacht!
– Ihre Hand darauf?
– Hier ist sie!«
Und die Hand des ersten Sprechers, d.h. fünf weit offene Finger, schüttelte kräftig die beiden Finger, welche der Zweite phlegmatisch hinhielt.
»Was ich noch sagen wollte, begann der Erste, es gelang mir noch, den Inhalt der Verordnung diesen Morgen um 10 Uhr 17 Minuten an meine Cousine zu telegraphiren.
– Und ich habe dem Daily-Telegraph dieselbe Nachricht um 10 Uhr 13 gesendet.
– Bravo, Herr Blount!
– Zu gütig, Herr Jolivet!
– Bis ich mich revanchire!
– Dürfte Ihnen schwer fallen!
– Man versucht eben Alles!«
Bei diesen Worten grüßte der französische Correspondent vertraulich den englischen Reporter, der ihm mit vollem britannischen Stolze dankte.
Diese beiden Neuigkeitsjäger, welche ja weder Russen, noch Fremde von asiatischer Herkunft waren, traf die
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