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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sich eine kleine Stadt. (S. 202.)
     
    Es waren die ersten Verse aus der Bibel, welche Harry Blount telegraphirte, um die Zeit auszufüllen und seinem Collegen gegenüber den einmal eingenommenen Platz zu behaupten. Dieser Ausweg kostete seinem Journal vielleicht einige tausend Rubel, aber es erhielt dafür auch die allerersten Berichte. Frankreich konnte warten!
    Man begreift wohl den Aerger und die Wuth Alcide Jolivet’s. Unter allen anderen Verhältnissen hätte er zwar begriffen, daß dieses Verfahren ein gesetzlich vollkommen begründetes war, jetzt suchte er aber den Beamten womöglich zu nöthigen, daß er seiner Depesche vor der Fortsetzung der seines Collegen den Vorzug gebe.
    »Der Herr ist in seinem Recht«, bedeutete ihm ruhig der Beamte, indem er auf Harry Blount wies und ihm liebenswürdig zulächelte.
    Und er fuhr pflichtgetreu fort, an den Daily-Telegraph den ersten Vers der heiligen Schrift zu telegraphiren.
    Während der Manipulationen an den Apparaten begab sich Harry Blount ruhig an’s Fenster und beobachtete mit einem Fernglase, was etwa um Kolywan vorging, um seine Berichte zu vervollständigen.
    Einige Augenblicke später nahm er seinen Platz am Schalter wieder ein und fügte seinem Telegramm hinzu:
    » Zwei Kirchen stehen in Flammen. Die Feuersbrunst scheint sich nach dem rechten Flußufer zu auszubreiten. Und die Erde war wüste und leer und es war finster auf der Tiefe …«
     

    Das Gebäude ward von tartarischen Truppen besetzt. (S. 212.)
     
    In Alcide Jolivet stieg eine höllische Luft auf, den ehrenwerthen Correspondenten des Daily-Telegraph einfach zu erwürgen.
    Wiederholt interpellirte er den Beamten, der ihm stets mit der nämlichen Ruhe die Antwort gab:
    »Der Herr ist in seinem Recht, vollkommen in seinem Recht … Das Wort kostet zehn Kopeken.«
    Und unverdrossen telegraphirte er die folgende Neuigkeit, die ihm Harry Blount brachte.
    » Russische Flüchtlinge drängen sich aus der Stadt. Und Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht! …«
    Alcide Jolivet wollte buchstäblich vor Wuth bersten.
    Inzwischen war Harry Blount wieder zum Fenster zurückgekehrt, zog aber seine Beobachtung, wahrscheinlich gefesselt von Interesse an dem Schauspiel, das sich vor seinen Augen abspielte, etwas zu sehr in die Länge. Sobald der Telegraphist also den dritten Vers der Bibel abgesendet hatte, nahm Alcide Jolivet geräuschlos am Schalter Platz und übergab, nach Deponirung einiger recht anständiger Rubelrollen, seine Depesche dem Beamten, der sie wiederum mit lauter Stimme verlas:
     
    » Madeleine Jolivet ,
    10, Faubourg Montmartre (Paris) .
     
    Aus Kolywan, Gouvernement Omsk in Sibirien 6. August.
    Flüchtlinge entweichen aus der Stadt. Die Russen geschlagen. Heftige Verfolgung durch die tartarische Cavallerie …«
     
    Und als Harry Blount nach dem Schalter zurückkehrte, vernahm er nur, wie Alcide Jolivet sein Telegramm in halb singendem, lustigem Tone vervollständigte:
     
    » Es ist ein kleines Männchen ,
    Gekleidet ganz in Grau,
    In Paris ! ….«
     
    Da er es für unpassend hielt, Profanes und Heiliges unter einander zu mengen, so benutzte er den Refrain eines lustigen Liedes Béranger’s an Stelle der Bibelverse.
    »Oha! platzte Harry Blount heraus.
    – Ja ja, so geht’s«, erwiderte lachend Alcide Jolivet.
    Inzwischen gestalteten sich die Verhältnisse in den Umgebungen Kotywans immer bedrohlicher. Die Schlacht wälzte sich näher heran, der Geschützdonner krachte immer entsetzlicher.
    Da erzitterte plötzlich das ganze Telegraphenamt in allen Fugen.
    Eine Granate hatte die Mauer durchschlagen und eine dichte Staubwolke erfüllte den ganzen Raum.
    Alcide Jolivet schrieb erst noch folgende Zeilen vollends nieder:
     
    » Bausbäckig, wie ein Apfel,
    Doch ohn’ ein’n Heller Geld …«
     
    Dann hielt er inne, stürzte auf die Granate zu, erfaßte sie noch vor der Explosion derselben mit beiden Händen, warf sie zum Fenster hinaus und trat wieder an den Schalter – Alles das Werk eines Augenblickes.
    Fünf Secunden später zersprang die Granate vor dem Hause in tausend Stücke.
    Alcide Jolivet ließ sich im weiteren Aufsetzen seines Telegrammes gar nicht stören und fügte dem völlig ruhig und kaltblütig hinzu:
    » Eine sechspfündige Granate schlug soeben durch die Mauer, des Telegraphenamtes. In Erwartung noch weiterer von gleichem Kaliber …«
    Michael Strogoff schwand jeder Zweifel, daß die Russen aus Kolywan vertrieben seien. Sein einziger Ausweg blieb es

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