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Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1

Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1

Titel: Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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geniessen

    »Sie sollten diesen edlen Tropfen in Massen
    geniessen«, empfiehlt ein Weinhändler seinen Kunden und lässt sie dabei mit der Frage zurück, ob man sich den Rebensaft nun in winzigen Schlucken genehmigen oder in Sturzbächen durch die Kehle laufen lassen sollte.
    Manche Menschen leiden an Ess-Störungen, andere an Eszett-Störungen.

    Die deutsche Sprache gönnt sich manchen Luxus, und einer davon ist die Existenz eines zusätzlichen Buchstabens. Andere Sprachen haben Akzente (á, é, à, è), setzen ihren Buchstaben lustige Hüttchen auf (â, c, ê, s), durchbohren sie mit Querbalken (Ø), hängen ihnen ein Schwänzchen an (c, s), verknoten sie (ae, oe) oder föhnen ihnen wellige Frisuren (ñ, ã), die deutsche Sprache nimmt sich dagegen noch relativ bescheiden aus. Sie erfand die Umlaute und jenen Buchstaben, der im Alphabet zwar nicht vorkommt, in unserer Schriftsprache aber eine so große Rolle spielt, dass er auf
    deutschsprachigen Tastaturen eine eigene Taste bekommen hat: das Eszett (ß), auch »scharfes S«
    genannt.

    Entstanden ist das Eszett aus einer Ligatur, einer Verbindung aus zwei Buchstaben: dem
    fahnenstangenlangen Anfangs- und Innen-s (f) und dem schnörkeligen Schluss-s (s) der Frakturschrift, die vom 16. Jahrhundert an bis etwa 1940 im deutschen Buch-und Zeitungsdruck verwendet wurde. Das Ergebnis der Verschmelzung (ß) sah dann so aus, als ob ein z (ß) daran beteiligt wäre, was der Ligatur den Namen Eszett eingebracht hat. Bei der Übernahme in die lateinische Schrift wurden die Ecken des Eszetts gerundet und der Topp abgesägt, sodass es dem B sehr ähnlich wurde (mit dem es viele Ausländer auch immer wieder
    verwechseln). Obwohl das Schreiben und maschinelle Erzeugen des Eszetts für Deutsche und Österreicher keine große Herausforderung darstellt, tun sich viele mit ihm schwer. Dies liegt vor allem daran, dass das ß genauso klingt wie ein einfaches scharfes s und erst recht wie das immerscharfe Doppel-s. Außerdem erscheint es nur unter bestimmten Voraussetzungen im Wort, und das hängt mit der Länge der Vokale zusammen. Die werden allerdings nicht überall gleich gesprochen. Je nach Region werden sie mal gestaucht und mal gedehnt.
    Während der Norddeutsche kurz »muss«, sagt der Wiener »mu(uu)ss« mit extralangem u und wundert sich, warum er dann kein ß setzen soll. In Bayern wiederum kann man nicht lange Maß halten, dort trinkt man die Mass am liebsten in Massen. Die Schreibweise mit Doppel-s ist daher im Freistaat ausdrücklich erlaubt.
    Einige Bayern werden sogar fuchsteufelswild, wenn man ihre Mass mit ß schreibt. Andere Bayern bevorzugen die hochdeutsche Schreibweise, so wie die Münchner
    »Abendzeitung«, die empört vermeldete: »Sieben Euro für eine Wiesn-Maß!«
    Rund 4,7 Millionen Menschen zwischen Basel, Bern und Chur brauchen sich über das ß nicht den Kopf zu zerbrechen – im Land der Bankschließfächer und der Präzisionsuhren kommt der unbequeme Buchstabe seit den dreißiger Jahren nicht mehr vor. In Deutschland und Österreich ist er geblieben.
    Manche pfeifen auf die Rechtschreibreform und
    setzen das ß auch dort noch, wo es gemäß den neuen Regeln nicht mehr hingehört. Andere wiederum glauben, das ß sei mit der Rechtschreibreform komplett
    abgeschafft worden. Das sind zum Beispiel all jene Leute, die ihre Briefe und E-Mails beharrlich mit
    »freundlichen Grüssen« unterschreiben.

    Das Eszett hat es in sich, wie jener Großwildjäger zu berichten weiß, der im Dschungel um ein Haar von einer Riesenschlange gefressen worden wäre:
    Von der langen Wanderung erschöpft, ließ sich der Großwildjäger unter einem Baum nieder. Er hatte die Riesenschlange nicht bemerkt, die sich oben im dichten Blattwerk versteckt hielt. Kaum war er eingenickt, glitt das Schuppentier geräuschlos den Stamm hinab und begann, den Jäger zu umschlingen. Davon erwachte er, und erschrocken rief er aus: »He, du ekelhaftes Vieh, lass mich auf der Stelle los!« – »Ich würde esss sssehr begrüsssen, wenn Sssie mich nicht ssso anbrüllen würden«, erwiderte die Schlange, »ich bin nämlich sssehr geräuschempfindlich!« – »Dann hör auf, mich zu würgen«, rief der Jäger. »Tut mir Leid, ich kann nicht andersss, ich bin nämlich eine Würgeschlange«, entschuldigte sich die Schlange und wand sich ein weiteres Mal um den Leib den Jägers. »Du bissst ein lecker Frasss«, stellte sie fest, »man sssollte dich mit einer würzzzigen Sssossse übergiesssen!«–

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