Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1
Werbesprache fest im Griff. Was immer angepriesen wird, erhält den Nachsatz
»pur«. Darauf gibt's Garantie pur.
Selbst die Schrecknisse dieser Welt findet man derart fragwürdig verschönt: Hass pur, Horror pur, Verbrechen pur. Früher unterschied man zwischen Optimisten, die die Zukunft in Rosarot sahen, und Pessimisten, die vorzugsweise schwarz sahen. Heute gibt es anscheinend nur noch Puristen, die alles in Purpur sehen. Der Film
»Apocalypse now« würde in diesen Zeiten von einem deutschen Verleih vermutlich unter dem Titel
»Apocalypse pur« in die Kinos gebracht.
Ob die fünf Musiker aus Bietigheim angesichts des inflationären »pur«-Gebrauchs ihre Band heute noch so genannt hätten? Als sie sich 1986 den Namen »Pur«
gaben, war das Wort noch unverbraucht und halbwegs originell. Heute geht » Pur« im purpurnen Einerlei unter.
Sucht man die Band im Internet, so muss man schon etwas Geduld aufbringen, um im Wildwuchs zwischen Literatur pur, Popkultur pur, Natur pur Pur pur zu entdecken.
Bemerkenswert ist, was hier mit der Syntax
geschieht: Das Attribut wird dem Hauptwort nachgestellt, ein in der deutschen Sprache eher ungewöhnlicher Vorgang, denn normalerweise steht das Attribut vor dem Hauptwort. Doch in der Reklamesprache setzt man sich über Grammatikregeln gern hinweg und verbiegt die natürliche Syntax, um Aufmerksamkeit zu erregen. So hat man den Kunden schon früher »Bargeld sofort«,
»Spargel satt«, »Kühlschränke neu«, »Urlaub
mediterran« und »Telefonieren kostenlos« versprochen.
Und vor dem sagenhaften Aufstieg des Adjektivs »pur«
gab es das alles schon einmal mit »total«: Spannung total, Liebe total, Fußball total. Diese Form der Anpreisung hat sich über die Jahre gründlich abgenutzt, da kam den Werbestrategen das Wörtchen »pur« gerade recht.
Dabei ist »pur« gar nicht mal neu. Das Adjektiv, dem lateinischen »purus « entlehnt, gelangte bereits im 14.
Jahrhundert in die deutsche Sprache und wirkte an der Entstehung von Begriffen wie Püree und Puritanismus mit. Über lange Zeit hatte »pur« im deutschen
Sprachtheater ein Engagement als
Zweitbesetzung für das Adjektiv »rein«. Wer »reines Gold« durch einen Latinismus noch weiter veredeln wollte, konnte dies tun, indem er von »purem Gold«
sprach. Auch purer Luxus und purer Genuss wurden immer gern beschrieben und angepriesen. Mittlerweile gibt es sie nur noch als »Luxus pur« und »Genuss pur«.
In einer Kunstform wie der Reklamesprache ist so etwas möglich. Man sollte es sich allerdings gut überlegen, ehe man sich die Werbung zum Vorbild für seine Alltagssprache macht:
»Du Schatz, es wird heute wieder später«, sagt der geplagte Ehemann am Telefon, »hier ist mal wieder Hektik pur!« – »Du Armer«, seufzt sie verständnisvoll,
»aber mach dir keine Sorgen um mich, ich bin nachher noch mit einer Schulfreundin verabredet, die ich heute in der Stadt getroffen habe: Zufall pur!« – »Sonst alles klar zu Haus?« – »Jonas ist heute vom Klettergerüst gefallen, aber ihm ist nichts passiert.« – »Wer hat ihn denn da raufgelassen? Das war ja Leichtsinn pur!«–»Beim nächsten Mal ist er vorsichtiger. Du weißt doch: Nichts macht klüger als Erfahrung pur!«
Dem halbwegs sprachsensiblen Konsumenten stößt das Adjektiv »pur« aufgrund seiner Häufung inzwischen sauer auf. Man kann nur hoffen, dass der pure Überfluss bald in irgendeinem Abwasserkanal versickert. Und zwar bevor das Beispiel der Attribut-Umstellung weiter Schule macht. Was würde aus dem normalen Alltag, dem
perfekten Moment, den losen Gedanken? Alltag normal, Moment perfekt, Gedanken los? Wird die unterhaltsame und lehrreiche Sendung »Genial daneben« eines Tages
»Daneben genial« heißen? Das wäre der reinste
Wahnsinn. Um nicht zu sagen: Wahnsinn pur.
Abschied von Lila-Grün
Sie glauben, Sie kennen sich aus mit den Farben in der Politik? Rot für links, Schwarz für rechts, dazwischen und daneben Gelb, Grün, Dunkelrot, Blassrosa,
Taubengrau und Igittibraun — aber wofür bitte schön steht Blau, und was kommt raus, wenn man die Farben mischt? Werfen wir doch mal einen Blick zu unseren Nachbarn im Westen.
Was dem Hobby-Soziologen die Schubladen, das
sind dem Amateur-Politologen die Farbtöpfe. Wann immer der Name einer Partei ins Spiel kommt, wird flugs zum Pinsel gegriffen und das erwähnte Lager mit einem knalligen Anstrich versehen: Rot, Gelb, Schwarz, Grün, Grau, bunt - was die Palette
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