Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
kuriosen
Rechtschreib- und Grammatikfehlern, Fotos von lustigen
Schildern oder Scans von Werbeprospekten und Zeitungs-
artikeln. Und sie bombardierten mich mit Fragen: Fragen zur
Grammatik, zur Schreibweise bestimmter Wörter, zur
Bedeutung von Redewendungen und zur Herkunft von
Sprichwörtern. Einige dieser Fragen habe ich für dieses Buch
ausgewählt und sie zusammen mit der jeweiligen Antwort
zwischen die einzelnen Kolumnen gestellt, um die Struktur
des Buches etwas aufzulockern. Mit ihren Fragen, Anregun-
gen und Wünschen haben die Leser dafür gesorgt, dass diese
zweite Folge des»Dativs « nicht nur ein Lesebuch, sondern
auch ein Leserbuch geworden ist. Und ich möchte die Gele-
genheit nutzen, mich hier bei allen zu bedanken, für die vie-
len E-Mails, die mich Woche für Woche erreichen, sowie für
die zum Teil seitenlangen Briefe, die ich per Post bekommen
habe. Einige Leser haben mir selbstverfasste Gedichte ge-
schickt, sogar Bücher und Manuskripte. Ihnen allen möchte
ich an dieser Stelle danken, aber genauso auch denjenigen,
die mir bei einer persönlichen Begegnung gesagt haben, dass
mein Buch sie zum Lachen gebracht habe. Eine schönere Be-
stätigung meiner Arbeit kann ich mir nicht wünschen.
Ich möchte auch meinen Kollegen von SPIEGEL ONLINE
danken, die mich mit Ideen, Ratschlägen und technischen
Meisterleistungen unterstützt haben und es immer noch tun.
Mein besonderer Dank gilt dem Hause KiWi, das den Mut
besaß, eine Internet-Kolumne zwischen Buchdeckel zu pres-
sen, und das dem »Zwiebelfisch« dadurch Flügel verlieh.
Damit genug der einleitenden Worte. Tauchen Sie nun mit
mir in die Tiefen unserer Sprache, wo glitzernde Schwärme
von Zwiebelfischen und viele andere kuriose Unterwasser-
geschöpfe schon darauf warten, von uns entdeckt und be-
staunt zu werden.
Bastian Sick
Hamburg, im August 2005
Wir gedenken dem Genitiv
Der Genitiv gerät zusehends aus der Mode. Viele sind ihn
überdrüssig. Dennoch hat er in unserer Sprache seinen Platz
und seine Berechtigung. Es kann daher nicht schaden, sich
seinem korrekten Gebrauch zu erinnern. Sonst wird man dem
Problem irgendwann nicht mehr Herr und kann dem zweiten Fall
nur noch wehmütig gedenken.
»Am Sonntag wird in Kampehl dem 354. Geburtstag von
Ritter Kahlbutz mit einem Konzert gedacht«, meldete eine
Berliner Tageszeitung am 3. März. Ich wusste zwar bis zu
diesem Tage nicht, wo Kampehl liegt, und ich hatte auch
keinen blassen Schimmer, wer Ritter Kahlbutz war. Immer-
hin aber wusste ich, dass Ritter Kahlbutz nicht der Ritter von
der traurigen Gestalt war. Der nämlich kämpfte einst in
Spanien gegen Windmühlen. Unser Ritter Kahlbutz hingegen
scheint von der Presse nachträglich zum »Ritter von dem
degenerierten Genitiv« stilisiert zu werden. Weswegen »ihm«
ja auch gedacht werden muss.
Inzwischen habe ich mich natürlich schlau gemacht: Rit-
ter Christian Friedrich von Kahlbutz lebte von 1651 bis 1702
im brandenburgischen Kampehl. 1690 war er des Totschlags
angeklagt, erwirkte jedoch mittels eines Reinigungseides einen
Freispruch. Vor Gericht soll er gesagt haben, wenn er »der
Mörder dennoch gewesen sein soll, so wolle er nicht
verwesen!« Fast hundert Jahre nach seinem Tod fand man in
der Gruft seine Mumie − und damit den Beweis für den
Meineid. Die deutsche Sagenwelt ist seitdem um eine schau-
rig-schöne Geschichte reicher, und das beschauliche Dorf
Kampehl hat eine Touristenattraktion ersten Ranges. Die
deutsche Grammatik indes hat ein Problem − und zwar im-
mer dann, wenn dem Ritter gedacht wird. Denn »gedenken«
ist eines der (wenigen) deutschen Verben, die ein Genitiv-
objekt nach sich ziehen. Daher muss es richtig heißen: Es
wird des Ritters gedacht. Oder wenigstens seines Geburts-
tages. In Abwandlung einer bekannten Werbekampagne für
einen großen deutschen Fernsehsender ließe sich hier fest-
stellen: Mit dem Zweiten klingt es besser!
Schauplatzwechsel: Im Februar 2005 fand in Magdeburg
eine Kundgebung von Neonazis statt. Die Demonstranten
trugen ein Spruchband vor sich her, auf dem zu lesen stand:
»Wir gedenken den Opfern des alliierten Holocaust«. Da
wird sich nicht nur mancher Lehrer spontan gedacht haben:
»Geht erst mal nach Hause und macht eure Schulaufgaben!«
Falsches Deutsch auf einem Spruchband einer von dümmli-
cher Deutschtümelei besoffenen Splittergruppe wirkt freilich
besonders absurd. Doch die Herren Neonazis
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