Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
sind bei
weitem nicht die Einzigen, die »dem« Genitiv nicht mehr
mächtig sind.
Die Presse trägt nicht unwesentlich zur Verbreitung des
Eindrucks bei, dass der Genitiv vom sprachlichen Spielfeld
ausgewechselt und auf die Reservebank geschickt werden
soll. »Als am Mittwoch der Bundestag seinem früheren Prä-
sidenten Hermann Ehlers gedachte, hielt auch Merkel eine
Rede«, konnte man auf einer Internet-Nachrichtenseite lesen.
Bleibt nur zu hoffen, dass wenigstens Angela Merkel in ihrer
Rede des Verstorbenen im richtigen Fall gedachte.
Auch das »Herr werden« ist eine verbale Konstruktion, in
der der Genitiv (noch) herrscht, aber immer häufiger vom
Dativ verdrängt wird. Als die Stadt Bern drastische Maßnah-
men zur Bekämpfung einer Krähenplage beschloss, schrieb
eine Hamburger Boulevardzeitung: »Um dem lauten Ge-
krächze und all dem Dreck Herr zu werden, setzt die Stadt
nun rote Laserstrahlen gegen die schwarzen Vögel ein.«Eine
andere große Tageszeitung rätselte nach der Flutkatastrophe
in Südostasien darüber, »wie man dem Chaos Herr werden
kann«. Und auch der »Spiegel« scheint den Genitiv für alt-
modisch zu halten. In einem Artikel über Rechtsextremismus
war zu lesen: »PDS-Fraktionschef Peter Porsch glaubt nur
noch mit einem erneuten Verbot dem Problem Herr zu
werden.«Nicht erst seitdem zerbrechen sich Genitiv-Freunde
den Kopf darüber, wie man des Problems hinter dem
Herrwerden noch Herr werden kann.
»Sich einer Sache annehmen« ist ein weiterer Fall. »Die
Stadt braucht einen Stadtbaumeister, der sich dem Thema
Baukultur annehmen soll«, forderte eine Kölner Tageszei-
tung. Immerhin besaß sie die Größe, wenige Tage später ei-
nen Leserbrief abzudrucken, in dem ein entrüsteter Leser
forderte, die Zeitung solle sich »endlich mal wieder des Ge-
nitivs annehmen«.
Übrigens wurde einst sogar das Verb »vergessen« mit dem
Genitiv gebildet. Das kann man heute noch an dem schönen
Wort »Vergissmeinnicht« erkennen, das eben nicht »Ver-
gissmichnicht« heißt. Aber der Genitiv hinter »vergessen«
geriet in Vergessenheit. Nomen est omen. Allein das Blüm-
chen ist geblieben und hält trotzig die Erinnerung an den
Genitiv wach. Wenn Sie das nächste Mal einen Strauß Ver-
gissmeinnicht bekommen, dann halten Sie kurz inne und
gedenken Sie des Genitivs!
Und während ich hier sitze und mich gedanklich der Sache
des zweiten Falles annehme, schaut mein lieber Kollege
Gerald zur Tür herein und sagt mit einem breiten Grinsen:
»Wenn du meinen Rat hören willst: Genitiv ins Wasser, denn
es ist Dativ!« (»Geh nie tief ins Wasser, denn es ist da tief!«)
Voll des Dankes ob dieses erbaulichen Spruchs blecke ich die
Zähne und grinse zurück.
Statt ins Wasser zu gehen, stelle ich lieber eine Liste mit
Verben zusammen, die heute noch ein Genitivobjekt haben.
Allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Zwei Kate-
gorien lassen sich dabei unterscheiden: zum einen die vollre-
flexiven Verben (die ausschließlich mit Reflexivpronomen
gebraucht werden können), zum anderen Verben aus der Ge-
richtssprache (zum Beispiel verdächtigen, anklagen, über-
führen). Man nennt den Genitiv hier auch Genitivus criminis.
Verben mit Genitivobjekt
anklagen Er war des Mordes angeklagt.
annehmen Wir nahmen uns des Themas an.
bedienen Darf ich mich kurz Ihres Telefons bedienen?
bedürfen Es bedarf keines Wortes.
bemächtigen Da bemächtigte sich der Teufel ihrer Seelen.
beschuldigen Man beschuldigte ihn des Betrugs.
besinnen Sie besannen sich eines Besseren.
bezichtigen Er wurde des Meineids bezichtigt.
enthalten Er enthielt sich jeglichen Kommentars.
entledigen Rasch entledigte sie sich ihrer Kleider.
erbarmen Herr, erbarme dich unser!
erfreuen Sie erfreut sich bester Gesundheit.
erinnern Ich erinnere mich dessen noch sehr genau.
freuen Er freut sich seines Lebens.
gedenken Der Opfer wurde gedacht.
harren Gespannt harren wir der Fortsetzung.
rühmen Man rühmte ihn seiner Taten.
schämen Ich schäme mich dessen.
überführen Der Angeklagte wurde der Lüge überführt.
verdächtigen Man verdächtigte sie der Spionage.
vergewissern Im Spiegel vergewisserte er sich seiner selbst.
versichern Sie versicherten sich ihrer gegenseitigen Zuneigung.
zeihen Man zieh ihn des Verrats.
Klopft man an der Tür oder an die Tür?
Frage einer Leserin: Lieber Zwiebelfisch, bald steht ja wieder
Weihnachten vor der Tür, und so habe ich denn eine
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