Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
Abschreckung um. Wenn ich im Schwimm-
bad eines Hotels den Hinweis lese
dann frage ich mich doch unweigerlich, was ich vom Fri-
schegrad dieser Handtücher zu halten habe − und benutze
lieber mein gebrauchtes.
Geradezu beängstigend wird es, wenn ich an Bord eines
Flugzeugs in einem Prospekt lesen muss: Wir wünschen
Ihnen einen »guten Flug«. Für mich liest sich das nämlich so:
»Hallo, lieber Fluggast, Sie wissen ja, der Ruf unserer
Gesellschaft ist nicht gerade der beste, also erwarten Sie nicht
zu viel. Beschwerden bitte direkt in die dafür vorgesehene
Spucktüte! Und jetzt heißt es: Anschnallen und beten!«
Anführungszeichen erfüllen vier unterschiedliche Funk-
tionen.
Erstens dienen sie der Ein- und Ausleitung direkter Rede:
• »Das hätten wir geschafft!«, rief er.
•»Ich heiße Sabine«, sagte Sabine, »und wie heißt du?«
Zweitens dienen Anführungszeichen dazu, Zitate kenntlich
zu machen:
• Der Ausspruch »Erlaubt ist, was gefällt« stammt von Goethe.
• In der Bibel steht: »Du sollst nicht töten.«
Drittens dienen Anführungszeichen der Hervorhebung
einzelner Wörter oder Wortgruppen:
• Das Wort »Standard« schreibt sich am Ende mit »d«.
•Unter dem Stichwort »Liebe« findet man mehr als tausend
Einträge.
In Anführungszeichen stehen Namen von Zeitungen, Zeit-
schriften, Büchern, Kinofilmen, Fernsehsendungen, Musik-
stücken, Kunstobjekten und Bühnenwerken, um dem Leser
zu signalisieren: »Achtung, dies ist ein Name!« Mozarts »Fi-
garo« ist eben nicht der Mann, der Mozart die Haare frisier-
te, sondern eine Mozartoper. Und wenn man liest: Er sah je-
den Montag als Erstes in den »Spiegel«, dann weiß man,
dass damit nicht der Badezimmerspiegel, sondern das
Nachrichtenmagazin gemeint ist. Ich komme übrigens jeden
Morgen auf dem Weg zur Arbeit am »Atlantik« vorbei.
Stünden die Anführungszeichen nicht da, so könnte man jetzt
denken, ich wohnte am Meer. Das »Atlantik« ist aber ein
Hotel. Auch Namen von Hotels, Schiffen und Gaststätten
können in Anführungszeichen stehen.
Viertens dienen Anführungszeichen dazu, um Ironie, eine
Wortspielerei oder eine Distanzierung kenntlich zu machen.
Letzteres ist zum Beispiel häufig bei der Verwendung von
Begriffen der Fall, die historisch belastet sind oder einen
ethisch verwerflichen Vorgang in schönfärberischer Weise
beschreiben, so wie das Wort »Säuberung«, das in Wahrheit
oft eine zutiefst schmutzige, wenn nicht gar blutige
Angelegenheit bedeutet. Die »Bild«-Zeitung hat die Ab-
kürzung DDR stets in Anführungszeichen gesetzt, um
deutlich zu machen, dass sie die DDR nicht anerkannte.
Anführungszeichen weisen auf das anders Gemeinte hin, sie
dienen der Hervorhebung, aber nicht der Betonung. Wer ein
einzelnes Wort mit typografischen Mitteln stärker betonen
will, dem stehen dafür zahlreiche andere Möglichkeiten zur
Verfügung. Innerhalb eines Textes kann man das Wort
unterstreichen, man kann es fetten, gesperrt schreiben oder
kursiv setzen. Auf Einladungen, in Prospekten oder Schildern
kann man außerdem entweder eine andere Farbe oder
Schriftart verwenden oder das Wort einfach größer
schreiben. Es gibt viele geeignete Mittel und Wege, ein Wort
zu betonen. Die Verwendung von »Anführungszeichen«
gehört nicht dazu.
Eine Betonung soll ja erreichen, dass einem das Wort in
seiner primären Bedeutung sofort ins Auge springt. Anfüh-
rungszeichen aber lenken die Aufmerksamkeit von der pri-
mären Bedeutung auf eine übertragene Bedeutung. Sie sind
ein typografisches Augenzwinkern. Wer den Autor dieses
Buches als einen Mann für alle Fälle bezeichnet und das
Wort »Fälle« dabei in Anführungszeichen setzt, macht damit
klar, dass es sich um ein Wortspiel handelt und mit den
Fällen keine Gelegenheiten, sondern Nominativ, Genitiv,
Dativ und Akkusativ gemeint sind.
Anführungszeichen stehen also immer dann, wenn etwas
nicht in seiner wörtlichen Bedeutung gemeint ist. Was aber
könnte mit einem Schnitzel »Wiener Art« anderes gemeint
sein als ein Schnitzel Wiener Art? Wo verbirgt sich das
Wortspiel in der Aussage Unsere Pizza ist garantiert »ofen-
frisch«? Was ist so eindeutig zweideutig an jenem Lokal, das
als Der älteste »Gasthof« Rügens ausgewiesen wird? Wovon
distanzieren sich die Betreiber des Einkaufszentrums, das
Nur »z Minuten Fußweg« vom Bahnhof gelegen sein soll?
Und was verbirgt sich tatsächlich hinter der Tür,
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