Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
Hühnchen sagt sie nicht Nein, und
wenn ihr etwas ganz besonders verrückt vorkommt, dann
ruft sie: »Da wird doch das Huhn in der Pfanne verrückt!«
Meinen Hinweis, dass es der Hund sei, der da verrückt wird,
wehrt sie entrüstet ab: Was soll denn ein Hund in der Pfan-
ne? Das klinge doch eher nach einem chinesischen Sprich-
wort. Manchmal allerdings blickt Sibylle überhaupt nicht
durch, dann sieht sie »den Baum vor lauter Bergen« nicht
oder ist schlicht und einfach »auf dem falschen Holzdamp-
fer«. Was für den einen böhmische Dörfer sind und dem an-
deren spanisch vorkommt, das ist für Sibylle praktischer-
weise eins: »Für mich ist das ein spanisches Dorf«, sagt sie.
Derlei Verdrehungen ziehen sich durch Sibylles Wortschatz
»wie ein rotes Tuch«. Kaum ein »Fettschnäppchen«, in das
sie nicht schon getreten wäre. Sie kann Politiker nicht leiden,
weil die meistens »mit zweischneidiger Zunge« reden. Auch
von anderen Männern hält Sibylle nicht viel. Wenn das
Gespräch auf ihren Ex kommt, dann winkt sie ab. Mit dem
ist sie nie auf einen »grünen Nenner« gekommen. Der
brauche mal jemanden, der ihm ordentlich »die Levanten«
liest, sagt sie. Jawohl, auch vor der Bibel macht Sibylle nicht
Halt. Einmal ist sie so erschrocken, dass sie nach eigenen
Worten »fast zur Salzsäure erstarrt« ist.
Nicht dass Sie denken, ich wollte mich über Sibylle lustig
machen. Das käme mir nicht in den Sinn. Schließlich ist sie
eine liebe Freundin, und wenn ich sie nicht hätte, wäre mein
Leben ärmer. Auf jeden Fall gäbe es für mich weniger zu la-
chen. Und zu lernen. Denn Sibylle ist ausgesprochen le-
bensklug. Sie weiß, dass es nicht immer ratsam ist, Ent-
scheidungen »über den Zaun zu brechen«, und für drastische
Maßnahmen hat sie eine entwaffnende Rechtfertigung pa-
rat: »Der Zweck bringt die Mittel auf.« Auch Körperbehin-
derte kommen bei ihr besser weg als anderswo, denn »unter
den Blinden« ist Sibylle zufolge »der Einbeinige König«. Und
wenn alles schiefgeht, kann man sich auf Sibylle verlassen,
denn sie hat meistens noch »einen Triumph im Ärmel«.
* Im Tschechischen und im Französischen spricht man tatsächlich von
»spanischen Dörfern«, wenn man sich mit einer Sache nicht auskennt.
Viele Redewendungen enthalten Begriffe, die aus unserer
Alltagssprache längst verschwunden sind. Wer weiß denn
noch, was ein Scheffel* ist? Sibylle jedenfalls nicht. Sie rät
allen, die ihrer Meinung nach zu bescheiden sind, ihr Licht
nicht »unter den Schemel« zu stellen.
Irgendwann einmal habe ich Sibylle empfohlen, sich doch
lieber mit ihren eigenen Worten auszudrücken. »Sprich
wörtlich, nicht sprichwörtlich«, lautete mein Rat. Sibylle er-
widerte, ich solle nicht immer jedes Wort in die Goldschale
legen und mich lieber an der eigenen Nase herumführen.
Macht nix. Ich hab Sibylle trotzdem gern. »Man wird alt
wie eine Kuh und lernt trotzdem nichts dazu«, sagt sie
selbstironisch. Und schließlich sei die Suche nach dem pas-
senden Ausdruck oft »das reinste Waggon-Spiel«. Recht hat
sie. Wer könnte schon von sich behaupten, dass ihm solche
Fehler nicht auch ab und zu unterliefen? Ein kleiner »Weh-
mutstropfen« hier, ein weiterer Fall von »Mund-zu-Mund-
Propaganda« dort. Ein bisschen Sibylle steckt vermutlich in
jedem von uns.
Zum Beispiel in jenem Sportreporter, der da in einem Be-
richt über die Formel i sibyllinisch, wenn nicht gar sibyllisch
schrieb: »Teamchef Eddie Jordan hat Berichte dementiert,
wonach sein Team erneut kurz vor dem Aus stehe − dabei
hatte der Ire erst vor wenigen Tagen der Belegschaft den
schwarzen Peter an die Wand gemalt.«
* Scheffel = schaufelartiges Gefäß, das als Getreidemaß diente. Eine da-
hinter gestellte Lampe war abgeschirmt und leuchtete nicht weit.
Wie die Faust aufs Auge
Frage einer Leserin: Lieber Zwiebelfisch, ich bin mir sicher,
dass Sie helfen können, die Bedeutung einer Redensart zu
klären, die ich seit meiner Kindheit verwende: Das passt »wie
die Faust aufs Auge« wurde in meiner Familie immer für
Dinge verwendet, die überhaupt nicht zueinander passen, wie
zum Beispiel zwei Farben, die »sich schlagen«. Nach meinem
Gefühl ist das die korrekte Deutung. Nun gibt es aber in
meinem Bekanntenkreis einige, die diese Redensart genau im
umgekehrten Sinn verwenden, für Dinge, die besonders gut
zueinander passen. Das erscheint mir unlogisch. Ich konnte
mich aber bis
Weitere Kostenlose Bücher