Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
Vom Netzwerk:
jedoch weiblich sind, folgende Fragen auf: Sagt man die
    oder der Place de l’Ètoile? Sagt man die oder der Gare de
    l’Est? Sagt man die oder der Tour Montparnasse? Gibt es da-
    für eine Regel?
    Antwort des Zwiebelfischs: Die Place oder der Place −
    darüber lässt sich trefflich streiten! Als Romanist habe ich
    selbst lange Zeit dem französischen Geschlecht Vorrang er-
    teilt und Sätze gesagt wie »Wir trafen uns auf der Place
    Vendôme« und »Wir trennten uns an der Gare du Nord.« In-
    zwischen aber bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass in
    deutschen Sätzen auch nach deutscher Grammatik verfah-
    ren werden sollte. Schließlich ist nicht jeder des Französi-
    schen mächtig. Und müsste man dann nicht auch bei jedem
    anderen Gebäude dieser Welt nach dem Geschlecht for-
    schen, das ihm die jeweilige Landessprache zuweist?
    Im Englischen sind Gebäude grundsätzlich sächlich, des-
    wegen heißt es im Deutschen aber nicht »das Tower« oder
    »das Royal-Albert-Hall«. Ebenso wenig »das London-
    Bridge«, »das Piccadilly Circus« oder »das Victoria-Station«.
    Ganz selbstverständlich wählen wir hier den Artikel des
    entsprechenden deutschen Wortes: der Tower (der Turm),
    die Royal-Albert-Hall (die Halle), die London-Bridge (die
    Brücke).
    Da mir bislang kein überzeugender Grund dafür eingefal-
    len ist, weshalb man französische Gebäude im Deutschen
    anders behandeln sollte als englische, plädiere ich dafür, sich
    auch bei »Place«, »Gare« und »Tour« nach dem Geschlecht

    der deutschen Entsprechung zu richten. Also »der Place de
    l’Ètoile«, »der Gare de l’Est« und »der Tour Montparnasse«.
    Wer übrigens in Paris die U −Bahn benutzt, der fährt mit»der
    Metro« − nicht mit »dem Metro«, auch wenn es auf Fran-
    zösisch »le metro« heißt.
    Neben dem Genus kann mitunter auch der Numerus
    Probleme bereiten. Manche Namenwörter stehen nämlich
    im Plural, so wie die berühmteste aller Pariser Pracht-
    straßen, die Champs-Elysees. In der populären verkürzten
    Form wird die »Avenue der Champs-Elysees« nicht zu der
    Champs-Elysees, sondern zu den Champs-Elysees; denn
    Champs-Elysees ist ein Pluralwort und bedeutet »Elysien-
    felder«.
    Beim Stichwort »Champs-Elysees« fällt mir natürlich der
    Schlager von Joe Dassin ein (»Oh, Champs-Elysees«). Da
    heißt es in einer Strophe: »Von La Concorde bis zum Ètoile
    erklingt Musik von überall.« Ètoile ist hier männlich, ob-
    wohl es im Französischen weiblich ist. Wenn selbst ein
    Franzose wie Joe Dassin sich der deutschen Grammatik fügt,
    dann können wir es mit ruhigem Gewissen auch.
    Die Franzosen haben ihrerseits keine Bedenken, deutsche
    Gebäude in französischen Sätzen nach den Regeln der fran-
    zösischen Grammatik zu behandeln. Die Frage »Holst du
    mich am Hauptbahnhof ab?« wird im Französischen zu: »Tu
    vas me chercher á la Hauptbahnhof?«

    Sprichwörtlich in die Goldschale gelegt

    Kennen Sie das auch? Da benutzt jemand eine bekannte Redewen-
    dung, und man wird das Gefühl nicht los: Irgendetwas stimmt da
    nicht. Haben Sie schon mal gehört, dass Liebe auf den Magen
    schlägt, dass einem etwas Unterkante Oberwasser steht und dass
    jemand friert wie ein Rohrspatz? Dann kennen Sie vielleicht meine
    Freundin Sibylle.

    Sibylle ist ein lieber Mensch, und sie redet sehr gern. Eigent-
    lich ununterbrochen. Dabei hat sie eine ausgesprochene
    Vorliebe für bildhafte Vergleiche und klangvolle Redewen-
    dungen; allerdings trifft sie nicht jedes Mal den Hammer auf
    den Nagel. Den Hammer auf den Nagel? Es heißt doch wohl
    »den Nagel auf den Kopf«. Sie sehen schon, worauf ich hin-
    auswill. Sibylle verwendet Ausdrücke, die in keinem Wör-
    terbuch stehen. Man versteht die Redewendung zwar, aber
    man wird das Gefühl nicht los, dass irgendetwas mit ihr
    nicht ganz richtig ist. Mit der Redewendung, meine ich, nicht
    mit Sibylle.
    Sibylle hat ein großes Herz, Kleinigkeiten lässt sie großzü-
    gig »unter den Teppich fallen«, und sie lässt auch gerne mal
    »alle viere gerade sein«. Besonders mag Sibylle Tiere. »Auch
    eine blinde Kuh findet die Spreu im Weizen«, sagt sie zum
    Beispiel. Und sie würde auch niemals »mit Tauben auf Spat-
    zen schießen«. Dafür sind ihr gelegentlich schon mal »die
    Pferde durchgebrochen«. Sibylle weiß, »wo der Hase begra-
    ben ist«, und wenn sie etwas nicht weiß, dann steht sie da
    »wie die Kuh vorm Himmelstor«. Sibylle macht sich nicht
    viel aus Fleisch, aber zu

Weitere Kostenlose Bücher