Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
einzige prominente Gegenbeispiel der letzten Jahre ist die unselige »Antisemitismusdebatte«, aber vermutlich nur deswegen, weil »Antisemitismusstreit« ein Spucke befördernder Zungenbrecher ist.
Möglicherweise ist aber das, was in den Schlagzeilen als Streit daherkommt, in Wahrheit oft nicht mehr als eine mittelprächtige Meinungsverschiedenheit. Und die Zeitungen machen einen handfesten Streit daraus, weil das Wort so schön kurz und griffig ist und eine verkaufssteigernde Signalwirkung hat. Vielleicht sind die Gräben in unserer Gesellschaft gar nicht so tief, sondern nur mit Druckerschwärze gefüllte Furchen. Wie wäre es statt mit Frühjahrsdiät, Kartoffeldiät oder Gurkendiät mal mit einer Streit-Diät? Meiden wir das strittige Wort und reden wir stattdessen wieder von Debatten, Diskussionen oder Kontroversen.
»Wenn Sie keinen Streit wollen«, sagt der Verkäufer vom Kiosk und lacht, »dann können Sie auch Krieg haben!« Und er zeigt auf die Titelseiten seiner ausgelegten Zeitungen. »Torwart-Krieg«, steht auf der einen, »Zicken-Krieg« verheißt die nächste. Das geht über »TV-Krieg« bis zum »Renten-Krieg«. Für diejenigen, die gegen das Wort Streit bereits immun sind, muss es eben Krieg sein. Gerhard Schröder hockt im Kanzlerbunker, während die Opposition vorm Reichstag Panzer auffahren lässt. Ob das die Gespräche über die Reformen voranbringen wird?
Der Streit über die richtige Präposition
Erschwerend in der Streit-Debatte kommt hinzu, dass in der überwältigenden Mehrheit der Fälle das Wort »Streit« von der Präposition (beziehungsweise Postposition) »um« begleitet wird, obwohl »über« oftmals genauer wäre. Denn es gilt zu unterscheiden:
Beim Streit um die Wurst will jeder die Wurst für sich haben. Wir haben es mit Besitzansprüchen zu tun.
Beim Streit über die Wurst können sich die Beteiligten nicht einigen, wie eine Wurst auszusehen hat und welche Zutaten hineingehören. Der Streit dreht sich um etwas Abstraktes.
Bei der Erziehung streitet man sich über die Kinder, bei der Scheidung streitet man sich um dieselben. Dieselbe Differenzierung gilt für das fast ebenso häufig gebrauchte Wort Konflikt: Man unterscheidet den »Konflikt um das Kosovo« (Serben und Albaner wollen das Kosovo für sich) und den »Konflikt über die Steuerreform« (CDU und SPD sind geteilter Meinung). Eine Debatte und eine Diskussion werden grundsätzlich immer über etwas geführt. Denn in der Verbform heißt es schließlich: es wurde darüber debattiert und darüber diskutiert, nicht »darum«. Ebenso Gerüchte: Es kursieren Gerüchte über jemanden, nicht um jemanden.
»Um« ist die am stärksten strapazierte Präposition. Beispiele wie »Mit ihrem Streik um die 35-Stunden-Woche hat die IG Metall …« und »Wohl kaum eine Auseinandersetzung seit der Volksabstimmung um den Beitritt zur Europäischen Union hatte …« und »Berliner Gegenwarts-Polizeifilme um Staatsbeamtinnen mit Gewissenskonflikten« veranschaulichen die geradezu seuchenartige Ausbreitung der Präposition »um« auf Kosten der treffenderen Artgenossinnen »über«, »für« und »wegen«.
Wer mit dieser Art von Formulierungen tagtäglich zu kämpfen hat, dem sei als kleine Hilfe nachstehende Tabelle empfohlen. Einfach kopieren und an den Monitor nageln, schon gibt’s kein Rätselraten mehr um … pardon: über die richtige Präposition.
Die richtige Verwendung von »um« und »über«
Substantiv
Postposition
Abstimmung
über
Affäre
um
Aufregung
über
Auseinandersetzung
über
Beratungen
über
Debatte
über
Diskussion
über
Drama
um
Gejammere
über
Gerangel
um
Gerede
über
Gerücht
über
Gespräch
über
Gezerre
um
Gezeter
über
Hickhack
um
Intrige
um
Konflikt (mit Besitzanspruch)
um
Konflikt (mit geteilter Meinung)
über
Krawall
um
Lamento
über
Mutmaßungen
über
Nachdenken
über
Poker
um
Prozess
um
Querelen
um
Radau
um
Rätselraten
über
Skandal
um
Spekulationen
über
Streit (mit Besitzanspruch)
um
Streit
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