Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
Abends verbrachten Alexandra und ich damit, für jeden Vogel, der uns in den Sinn kam, ein klangvolles Pendant zu finden. Genauer gesagt: zu erfinden.
Als Weibchen für den Zaunkönig kam natürlich nur die Zaunkönigin in Frage. Der Rotkopfwürger erhielt eine Rotkopfwürgerin und der Wiedehopf eine Wiedehöpfnerin. Dass der Fink eine Finkin habe, könne nur im Deutschen gelten, fanden wir; im Spanischen müsse er eine Finka haben.
Die Frau vom Pfau wurde zur Pfauna. Die Eule bekam einen Eulo an die Seite gestellt. Für den Uhu fand sich die Uhura und für die Nachtigall der Nachtigallo.
Das Prinzip mit dem weiblichen A und dem männlichen O schien unbegrenzte Möglichkeiten zu eröffnen, und warum sollte es nur am Wortende funktionieren? Flugs erklärten wir die männliche Amsel zum Omsel.
Die Wachtel durfte sich über ihren Wächtler freuen und der Dompfaff über seine Dompfeife. Manche Formen ließen sich auch durch Verkürzung gewinnen: Das männliche Gegenstück zur Dohle wurde zum Dohl, und das Weibchen des Reihers zur Reihe.
Kreuz und quer sprangen wir durchs Alphabet und ließen auch den Zilpzalp und den Zwergfalken nicht aus. Die Zilpzälpin fand unser beider Gefallen, doch mit der »Zwergfälkin« wollte Alexandra sich nicht zufriedengeben. Das sei nicht konsequent genug, sagte sie, und gab nicht eher Ruhe, bis ich unserer Liste eine »Zwerginnenfälkin« hinzugefügt hatte. Um die zweifache Kastration des Zwergfalken wieder wettzumachen, stutzte ich die Haubenlerche kurzerhand zum Helmlerch.
Manche Namen stellten uns vor eine besondere Herausforderung, so wie die Mönchsgrasmücke, die vorne männlich und hinten weiblich klang. Das Pendant dazu konnte nur ein Nonnengrasmuck sein.
Auch französische Endungen waren willkommen: So fand sich als Partnerin für den Neuntöter die Neuntöterette, und die Heckenbraunelle kam zu ihrem Heckenbruno. Den Zitronengirlitz schließlich verbandelten wir mit der Zitronengirlande.
»Jetzt weiß ich, was für ein Vogel du in der Vogeloper warst!«, rief Alexandra auf einmal. Gespannt blickte ich sie an: »Nämlich?« – »Ein Star! Was sonst?« – »Und was war dann meine Partnerin: eine Starin oder eine Stärin?« – »Weder noch«, zwitscherte Alexandra, »für einen weiblichen Star kommt schließlich nur ein Wort in Frage: Diva!«
Hello, Dolly!
Frage eines Lesers aus Berlin: Hallo Zwiebelfisch! Oder sollte ich besser schreiben: »Hallo, Zwiebelfisch«? Meine Frage lautet: Kommt nach der Anrede »Hallo« ein Komma? Manche setzen es, viele aber nicht. Gibt es dazu eine Regel?
Antwort des Zwiebelfischs: Hallo, verehrter Leser! Kommaregeln rangieren in der Beliebtheit der Deutschen nicht sehr weit vorn, vermutlich noch hinter Schlaglöchern und Steuererklärungen. Umso mehr freut es mich, hierzu von Ihnen Post zu erhalten. Und selbstverständlich gibt es zu Ihrer Frage eine Regel! Schließlich gibt es für alles eine Regel. Ob man sich dran hält, ist etwas anderes. Die Kommaregel für die Anrede lautet folgendermaßen:
Zwischen Grußformel (z. B. »Hallo«, »Guten Tag«) und Anredenominativ (z. B. »Peter«, »Kollege«, »sehr geehrte Damen und Herren«) steht ein Komma, da beide Teile »satzwertig« sind, d. h., jeder der beiden Teile wiegt so viel wie ein eigener Satz.
Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei der Grußformel um eine höfliche Ansprache (»Guten Tag«, »Auf Wiedersehen«, »Herzlich willkommen«) oder um einen einfachen Zuruf (»He«, »Hallo«, »Na«) handelt. Korrekt schreibt man:
Guten Tag, Herr Petersen!
Willkommen, Frau Stubenpuck-Fliege!
Hallo, Nachbar!
Grüßt euch, alle miteinander!
Na, du!
He, Kleine!
Adieu, Chérie!
Servus, Michel!
Moin, ihr Sprotten!
Winter, ade!
Dies betrifft übrigens auch Ausrufe wie »Ach«, »Oh«, »Mensch« und »Mann« und darüber hinaus auch andere Formen der Ansprache wie »Bitte«, »Danke«, »Gesundheit« und »Entschuldigung«:
Der Nächste, bitte!
Danke, Susanne!
Glückwunsch, Max!
Ach, Papa!
Oh, Leander!
Mann, Sandra!
Mensch, ärgere dich nicht!
Dabei handelt es sich nicht nur um eine deutsche Gepflogenheit. Auch im Englischen wird zwischen Grußformel und Namen ein Komma gesetzt. Eines der berühmtesten Beispiele ist das Broadway-Musical »Hello, Dolly!« aus dem Jahre 1964.
Doch seit Dollys Zeiten hat sich manches geändert. Heute räumt der Duden ein, dass in Briefen und E-Mails auf das Komma in der Anrede verzichtet werden könne, insbesondere wenn diese nur aus zwei Wörtern
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