Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
wäre noch etwas, was Sie über Frau Merkel wissen sollten«, las ich. »Auch das steht buchstäblich vor unseren Augen: Sie müssen nur die Bestandteile des Wortes ›Bundeskanzlerin‹ in eine andere Reihenfolge bringen, dann wissen Sie Bescheid! Gut geschüttelt, ergibt sich ein Wort, wie man es trefflicher und zynischer nicht erfinden könnte, nämlich: Bankzinsenluder!«
Für »Adriane Rinschi«
Der Vogel und die Vögelin
Die Gans hat ihren Ganter, die Ente ihren Erpel und die Henne ihren Hahn. Doch wie sieht es mit anderen Vögeln aus? Werden die Geschlechter von Eulen, Spatzen und Kranichen namentlich unterschieden? Wie heißt der Krähenmann? Ist die Frau des Raben eine Rabin? Und wie nennt man die Lebenspartnerin des Uhus?
Am Erntedanksonntag kam meine Freundin Alexandra zum Essen. Während ich für uns den Tisch deckte, blätterte sie in einem Album mit Fotos aus unserer Schulzeit. Dabei entdeckte sie ein Bild, das mich in einer seltsamen Verkleidung zeigt. »Was trägst du denn da?«, fragte sie belustigt. »Ein Vogelkostüm!«, erklärte ich. »Das war bei einer Aufführung der Vogeloper mit unserem Chor!« – »Wie süß!«, rief Alexandra. »Warst du der Vogel oder die Vögelin?« – »Ich war selbstverständlich das Männchen!«, stellte ich klar. »Ich war schließlich schon aus dem Stimmbruch raus.« – »Und welche Art Vögel solltet ihr darstellen?«, fragte Alexandra. »Das weiß ich nicht mehr«, erwiderte ich, »etwas in der Art wie Rotkehlchen, nehme ich an.« Alexandra schien nicht sehr überzeugt: »In dem Kostüm sieht du eher aus wie ein gerupfter Papagei«, befand sie. »Vielleicht waren wir auch Blaumeisen oder Spatzen«, überlegte ich. »Ganz sicher aber waren wir keine Raben.« – »Der Herr Spatz und die Frau Spätzin – ihr wart bestimmt ein Traumpaar!«, sagte Alexandra lachend. Und dann hielt sie inne und fragte: »Gibt es das Wort Spätzin überhaupt?« – »Vorstellbar ist es, aber ich bezweifle, dass es wirklich gebräuchlich ist. Lass uns zur Sicherheit im Wörterbuch nachsehen!« Und tatsächlich: Zwischen Spatzenhirn und Spätzle fanden wir sie: die Spätzin. Alexandra war erleichtert. »Wo wir gerade dabei sind, lass uns doch mal nachsehen, wie das Krähenmännchen heißt«, sagte sie. Diesmal wurden wir nicht fündig: Weder gab es einen »Kräher« noch einen »Kräherich« oder einen »Krah«. Auch die Suche nach weiblichen Formen des Adlers und des Falken blieb erfolglos.
Da der Mensch die Tiere vor allem danach zu beurteilen pflegte, inwieweit sie ihm von Nutzen waren, hat er auch nur dort eine Unterscheidung der Geschlechter vorgenommen, wo sich etwas jagen, zähmen, züchten, mästen und verspeisen ließ. Alles andere, was sonst noch so kreuchte und fleuchte, konnte froh sein, wenn es überhaupt einen Namen bekam.
Folglich hat man sich auch bei Vögeln nur dann die Mühe gemacht, unterschiedliche Bezeichnungen für die männlichen und weiblichen Exemplare zu finden, wenn es sich um Nutztiere handelt, allen voran das liebe Federvieh, sprich Hühner und Gänse.
Ente: die Ente, der Erpel (auch: Enterich)
Gans: die Gans, der Gänserich (auch: Ganter)
Huhn: die Henne, der Hahn
Pute: die Pute, der Puter
Truthuhn: die Truthenne, der Truthahn
Bei vielen Nutz- und Hausvögeln mit männlichem Gattungsnamen ist die Bildung einer weiblichen Form durch Anhängen der Endung »-in« möglich: So wie der Spatz seine Spätzin hat, gesellt sich zum Fasan die Fasanin. Der Storch baut sein Nest zusammen mit der Störchin, und der Schwan gleitet neben der Schwänin.
Bei Wildvögeln wird diese Art der semantischen Unterscheidung jedoch nur selten vorgenommen. Die männliche Krähe heißt sowohl in der Fachsprache als auch in der Volkssprache einfach »das Krähenmännchen«, die weibliche ist »das Krähenweibchen«. Ableitungen auf »-in« und »-rich« sind zwar in der Theorie möglich, in der Praxis aber kaum zu finden. Der Reiher hat keine Reiherin, und die Meise keinen Meiserich. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, heißt es, und man kann hinzufügen: ein Schwalberich erst recht nicht, denn er hat es bisher nicht einmal ins Wörterbuch geschafft.
In Bezug auf Geschlechterunterscheidung bei Vögeln geht das zur Verfügung stehende Vokabular kaum über den menschlichen (Speise-)Tellerrand hinaus. Fantasie versetzt uns jedoch in die Lage, diese profanen Grenzen zu überwinden und neue Formen zu erschaffen, sodass am Ende jeder Vogel seine Vögelin hat. Den Rest des
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