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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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    „Kann ich gehen?"
    „Weißt du,
was geschehen ist?"
    „Ja."
    „Ich bin nicht schuld, sie haben
mich dazu getrieben, mit Drohungen." Er schwieg.
    „Ich konnte nichts machen. Sie
setzten mir das Messer an die Kehle." Er schwieg weiter, ganz abweisend,
keine Annäherung zulassend.
    „Warum schweigst du? Du willst
zeigen, daß du mich verurteilst? Dazu hast du kein Recht. Du nicht."
    „Gut wäre es, du gingst fort aus der
Stadt, Scheich Ahmed. Schrecklich ist es, wenn die Menschen den Kopf abwenden.
Ich weiß das am besten."
    Nein, so durfte er nicht mit mir
sprechen. Das war schlimmer als ein Vorwurf, das war ein eisiger Rat aus der
Ferne, ein verächtlicher Triumph. Wiederum schien mein umklammertes Herz auf
etwas zu warten, auf Trost oder Kränkung, damit es ins Leben zurückkehre. Vielleicht
war die Kränkung sogar besser; ein Trost hätte mich ganz erschöpft.
    „Du taugst doch wahrhaftig zu
nichts!" preßte ich hervor, die Worte wiederholend, die mich getroffen
hatten. „Gerade weil du es weißt, sollten wir, meine ich, anders miteinander
sprechen. Dein Verstand reicht nicht weit, du hast einen schlechten Augenblick
für die Rache gewählt. Nein, die Menschen werden nicht den Kopf von mir
abwenden. Vielleicht werden sie mich mit Furcht ansehen, aber mich nicht
verachten. Auch du wirst es nicht, verlaß dich drauf. Sie haben mich dahin
gebracht, daß ich meinen Freund opfere, warum sollte ich da auf irgendeinen
anderen Rücksicht nehmen!"
    „Davon wird dir nicht leichter
werden, Scheich Ahmed."
    „Mag sein, mir wird nicht leichter.
Aber auch den anderen nicht. Ich werde nicht vergessen, daß auch du an seinem
Leiden schuld bist."
    „Wenn du dir damit, daß du auf mich
schimpfst, eine Last vom Herzen wälzt, dann sprich nur weiter."
    „Hätte sich der Dubrovniker nicht
aus dem Staube gemacht, könnte Hasan jetzt ruhig zu Hause sitzen. Und der
Dubrovniker wird nicht gerade vom Orakel erfahren haben, was ihm
bevorsteht."
    „Er wußte, daß der Brief abgefangen
worden ist. Brauchte er noch mehr?"
    „Das wirst du wissen."
    „Fragst du mich oder beschuldigst du
mich? Anscheinend haben es wirklich die am schwersten, die zurückbleiben."
    „Du bist nicht zurückgeblieben, du
bist zurückgelassen. Und jetzt hinaus!"
    Er ging, ohne sich umzuwenden.
    Umsonst, die Unglücke kommen wie die
Dohlen: in Schwärmen.
    Am Tag darauf verschliefen wir das
Morgengebet, der Defterdar ebenso wie ich. Der Defterdar wegen der langen Reise
und des gut ausgeführten Auftrags, ich deswegen, weil ich lange wach gelegen
und der Schlaf mich erst gegen Morgen überwältigt hatte. Aber die schreckliche
Neuigkeit erfuhr ich als erster, und es war auch recht so, denn mich betraf sie
am meisten. Recht war es auch, daß ich sie vom Piri-Vojvoda hörte, sie war
ebenso widerlich wie er.
    Anfangs begriff ich gar nichts von
dem, was er mir berichtete, so unwahrscheinlich klang es, und so unerwartet
kam es. Später klang es noch genauso unwahrscheinlich, aber ich begriff es.
    „Wir haben den Auftrag
ausgeführt", sagte der verhaßte Mensch. „Der Festungsvogt hat sich ein
bißchen gewundert, aber ich sagte ihm, das geht ihn nichts an. Er hat genauso
zu gehorchen wie ich."
    „Was für einen Auftrag?"
    „Deinen. Wegen Hasan."
    „Wovon sprichst du? Von der
gestrigen Sache?"
    „Nein. Von der Sache heute
nacht."
    „Heute nacht? Was war da?"
    „Wir haben Hasan den Sejmenen
übergeben."
    „Was für Sejmenen?"
    „Ich weiß nicht. Sejmenen. Damit sie
ihn nach Travnik bringen."
    „Hat dir der Defterdar den Auftrag
gegeben?"
    „Nein, du."
    „Wart mal, ich bitt dich. Wenn du
betrunken bist, solltest du dich ausschlafen. Wenn nicht ..."
    „Ich trinke niemals, Kadi Effendi.
Ich bin nicht betrunken, und ich muß mich nicht ausschlafen."
    „Ich wollte, du wärst es, besser
wäre es für dich und für mich. Hast du etwa gesehen, daß der Auftrag von mir
gewesen wäre? Wer hat ihn denn gebracht?"
    „Wie sollt ich's nicht gesehen
haben: von deiner Hand geschrieben, mit deinem Siegel bekräftigt. Gebracht hat
ihn Mula Jusuf."
    Da setzte ich mich, denn die Beine
trugen mich nicht mehr, und ich hörte mir die schöne Geschichte von der
Dreistigkeit anderer und von meinem Unglück an.
    Nicht lange nach Mitternacht war der
Piri-Vojvoda von Mula Jusuf geweckt worden; Mula Jusuf zeigte ihm die von mir
geschriebene Anordnung, daß der Festungsvogt in Gegenwart des Piri-Vojvodas
den Gefangenen Hasan den bereitstehenden Sejmenen zu übergeben

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