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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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weder das noch etwas Ähnliches. Später dachte ich, es wäre vielleicht
anständig gewesen, wenn ich so gesprochen hätte. In Wirklichkeit ging es ganz
anders vor sich.
    „Wirst du
die Anweisung schreiben?" fragte mich der Defterdar.
    „Ich muß", sagte ich, auf den
Brief, auf die Drohung blickend, die vor mir lag.
    „Du mußt
nicht. Entscheide nach deinem Gewissen."
    Ach, bleib mir doch fern mit dem
Gewissen! Nach der Angst werde ich entscheiden, nach dem Entsetzen, und ade
sage ich dem Wunschbild, das ich von mir selbst hatte und dem ich zustrebte.
Ich werde das sein, was ich sein muß: ein Dreck. Schande über sie, sie haben
mich dahin gebracht, das zu werden, wovor ich mich ekelte.
    Aber nicht einmal das dachte ich in
diesem Augenblick. Mir war schwer zumute, ich spürte, daß etwas Schreckliches
vor sich ging, etwas so Unmenschliches, daß man es nicht zu Ende denken kann.
Nur war auch das verdrängt, überdeckt von der Angst, die mich wie ein Fiebertaumel
überkam, und von dem wilden Pochen des heißen, aufgeregten Blutes, an dem ich
zu ersticken glaubte. Ich wollte hinaus, ich brauchte Luft, um mich von dem
schwarzen Alp zu befreien, dabei wußte ich, daß ich alles sofort, in diesem
Augenblick lösen mußte, und dann würde ich mich von allem lösen. Ich würde auf
einen Berg steigen, ganz hinauf, und bis zum Abend dort bleiben, allein. Nichts
denken würde ich, nur atmen, atmen.
    „Deine Hand zittert", bemerkte
der Defterdar verwundert. „Tut er dir so leid?"
    Ich spürte
einen Druck im Magen, mir wurde übel.
    „Wenn er dir so leid tut, warum hast
du dann unterschrieben?"
    Ich wollte etwas auf diesen Hohn
erwidern, ich weiß nicht was, aber ich schwieg, hielt lange den Kopf gesenkt,
bis ich mich faßte und ihn stotternd zu bitten begann:
    „Ich kann nicht mehr hierbleiben.
Ich muß fort, ganz gleich, wohin. Nur weit fort."
    „Warum?"
    „Wegen der Menschen. Wegen allem."
    „Du taugst doch wahrhaftig zu
nichts!" sprach der Defterdar ruhig, mit tiefer Verachtung, obgleich ich
nicht wußte und auch nicht darüber nachdenken konnte, weshalb er mich
verachtete. Es schmerzte mich auch nicht, ich wiederholte nur im stillen die
häßlichen Worte, betete sie gleichsam ab und begriff doch nicht ihren rechten
Sinn. Das einzige, was in mir lebte, war das Gefühl, von überallher bedroht zu
sein, wie vor einer Hetzjagd. Alles um mich herum war verschlossen, es gab
keinen Ausweg. Und das war mir nicht gleich, ich hatte Angst.
    „Wer wird Hasan holen?"
    „Der Piri-Vojvoda."
    „Er soll ihn in die Festung
bringen."
    Ich trat hinaus auf den Korridor und
stieß auf Mula Jusuf. Er kam irgendwoher und ging auf sein Zimmer zu.
    Nur einen Augenblick, einen
einzigen, starrten seine Augen, als er mich erblickte, und sofort war mir klar:
Er hat uns belauscht, er weiß es. Wenn er hinauskommt, wird er ihm Nachricht
geben. Auch über den Dubrovniker hat er Nachricht gegeben – seltsam, daß mir
das erst jetzt einfiel.
    „Geh nicht aus dem Haus, ich brauche
dich nachher."
    Er senkte den Kopf und trat in sein
Zimmer.
    Ich kehrte in meines zurück. Wir
warteten schweigend.
    Der Defterdar lag, halb schlafend,
auf einem Sofa, aber auf jedes Geräusch offnete er die Augen, zog er rasch die
geschwollenen Lider hoch.
    Als der Piri-Vojvoda zurückkam,
wußte ich, daß alles vorbei war. Ich wagte nicht, den Defterdar zu fragen, was
man mit Hasan tun würde. Ich hatte kein Recht mehr, das zu fragen, und hatte
auch keine Kraft, zu heucheln.
    Der Defterdar ging, ich blieb zurück
– allein. Wohin hätte ich auch gehen sollen?
    Ich hörte nicht, wie Mula Jusuf
eintrat, er geht leise. Er stand an der Tür und blickte unbewegt auf mich. Zum
ersten Male verriet er vor mir keine Unruhe. Darum, weil wir jetzt gleich
waren.
    Nur er war mir noch geblieben. Ich
haßte ihn, er widerte mich an, ich fürchtete ihn, und doch, in diesem
Augenblick wünschte ich, daß er zu mir käme, daß wir zusammen schwiegen. Oder
daß er mir etwas sagte – oder ich ihm. Ganz gleich, was. Daß er mir meinetwegen
die Hand aufs Knie legte. Daß er mich anders ansähe, nicht so. Daß er wir
wenigstens Vorwürfe machte. Aber nein, dazu hatte er kein Recht. Schon bei dem
Gedanken, daß er das täte, regte sich in mir Widerstand, sogar Zorn, und ich
spürte, daß ich ein freundliches Wort annehmen würde, sonst aber nichts. Ich
stand auf der Grenze – ich konnte ein gebrochener Mann werden oder ein Tier.
    „Du sagtest, du brauchst mich."
„Jetzt nicht

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