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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Seiten, und solche gebe es gewiß, denn unsere
Beziehungen seien nicht von gestern, man möge einen rechtschaffenen Mann
schicken, der die Sitten und die Macht des Gastlandes achte und nicht auf unser
Brot und Salz spucke, sich auch nicht unwürdig benehme, zu seiner eigenen
Schande und zur Schande der Republik, die ihn geschickt hat, der auch keine
Freundschaft mit den übelsten Menschen schließe, die es ja überall gebe, so
auch bei uns, mit Menschen, die weder ihr eigenes Wohl noch das des Landes, das
sie hervorgebracht hat, bedächten und deren Dienste der erwähnte Kaufmann auf
häßliche Weise erkauft habe, was dem ehrenwerten Senat zweifellos bekannt sei.
    „Du weißt
sicher, wen der Wesir meint."
    „Ich weiß
es nicht."
    „Du weißt
es."
    Ein vollgesichtiger, schwammiger,
rundlicher Mensch, in ein weites Seidengewand gehüllt. Er glich einem alten
Weib, wie alle, die jahrelang in der Nähe der Mächtigen hocken.
    „Der Valija
wünscht, daß er verhaftet wird."
    „Warum soll er verhaftet werden? Er
hat sich gerechtfertigt, er ist nicht schuldig."
    „Siehst du,
jetzt weißt du doch, von wem ich spreche."
    O ja, ich wußte es, alles wußte ich
von dem Augenblick an, da ich hörte, daß du gekommen bist, ich wußte, du
würdest seinen Kopf verlangen, aber ich gebe ihn nicht her. Jeden anderen
würde ich aufgeben, ihn nicht.
    Ich erwiderte dem Defterdar, daß der
Wille des erlauchten Wesirs mir stets Befehl gewesen sei. Hätte ich denn nicht
jede Forderung erfüllt, die er an mich richtete? Jetzt aber bäte ich darum,
daß er von seiner Absicht zurückstehe, um seines eigenen Ansehens willen und um
der Gerechtigkeit willen. Hasan würde von den Menschen geliebt und geschätzt,
und es wäre ihnen nicht recht, wenn wir ihn verhafteten, besonders da man
wisse, daß er nicht schuldig ist. Wenn der Valija nicht unterrichtet sei, so
würde ich zu ihm gehen, um ihm alles zu erklären und ihn um Gnade bitten.
    „Er ist von
allem unterrichtet."
    „Warum
verlangt er es dann?"
    „Ist der Dubrovniker schuld? Dann
ist es auch Hasan. Vielleicht noch mehr. Von einem Ausländer können wir
erwarten, daß er sich als Feind dieses Landes erweist, von einem der unseren
erwarten wir es nicht. Es wäre unnatürlich.
    Gern hätte ich ihm erwidert, wenn
ich es gewagt hätte: Ist denn der Wesir dasselbe wie dieses Land? Aber im Gespräch
mit den Mächtigen muß man alle Vernunftgründe hinunterschlucken und ihre
Denkweise annehmen, und das bedeutet, daß man von vornherein unterlegen ist.
    Umsonst versicherte ich, daß Hasan
kein Feind und daß er nicht schuldig sei; der Defterdar winkte nur ab und
meinte, wir hätten, ohne die Augen aufzutun, an Hasans unverschämte Geschichte
geglaubt.
    „Hat er nicht behauptet, der
Dubrovniker habe in der Post keine ausgeruhten Pferde bekommen können? Sie
haben überhaupt nicht in der Poststation gefragt."
    „Wer sagt
das? Der Muselim?"
    „Ganz gleich, wer. Jedenfalls stimmt
es, wir haben es geprüft. Und nicht nur das, es gibt noch andere Lügen in
seiner Geschichte. Habt ihr mit dem Mann gesprochen, der dem Freund angeblich
den Brief aus Dubrovnik gebracht hat? Nein. Gelogen hat Hasan, schuldig ist er,
darum ist die Verhaftung gerechtfertigt. Und wenn der Valija will, daß ihr das
hier besorgt, so tut er das, damit es nicht heißt, er regiere mit Willkür und
Gewalt, denn es ist keine Willkür und Gewalt, und er will sich auch nicht in
eure Angelegenheiten einmischen. Jeder soll das seine ausführen, nach seinem
Gewissen."
    „Nach was für einem Gewissen? Hasan
ist mein bester Freund, mein einziger."
    „Um so besser. So wird jeder sehen,
es geht nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit."
    „Ich bitte den Wesir und dich, mich
in diesem Falle zu verschonen. Ginge ich darauf ein, so täte ich etwas
Schreckliches."
    „Du tätest etwas Kluges. Der Valija
fragt sich nämlich, wie es geschehen konnte, daß die so schnell von allem erfuhren."
    Also doch, mit seinen trägen Händen
legte er mir schon die feste Schlinge um den Hals.
    „Willst du sagen, der Valija habe
mich im Verdacht?"
    „Ich will sagen, für einen Richter
wäre es das beste, gar keine Freunde zu haben. Nie. Keinen einzigen. Denn der
Mensch ist fehlbar."
    „Und wenn er einen Freund hat?"
    „Dann muß er wählen: Freund oder
Gerechtigkeit."
    „Ich werde mich weder an dem Freund
noch an der Gerechtigkeit versündigen. Er ist nicht schuldig. Ich kann es nicht
tun."
    „Deine Sache. Der Wesir zwingt dich
zu nichts. Nur

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