Der deutsche Goldrausch
Bundesrepublik verstoßen.
14. September 1990, Ost-Berlin
Die Vereinigte Transport AG ist eine der ersten in der DDR gegründeten Aktiengesellschaften überhaupt. 56 ehemals »volkseigene« Kraftverkehrsunternehmen haben sich Anfang Juni zusammengeschlossen, 65 000 Mitarbeiter sollen unter dem Dach der AG arbeiten. Bis zu 80 Prozent waren die Lastwagen der verschiedenen Speditionen in der DDR ausgelastet. Allerdings sind nur 3500 der 25 000 Lastzüge so modern, dass sie auch in der neuen Zeit bestehen können. 25 Sie gehörten zur Firma Deutrans, die unter anderem sogenannte Cocom-Ware schmuggelte, also Güter, die auch militärischen Zwecken dienen können und daher nach den Richtlinien des Coordinating Commitee for East West Trade Policy (Cocom) nicht in die Länder des Ostblocks geliefert werden durften.
Die Chefs der verschiedenen Kombinate stellen sich indes schon im Januar auf diese Probleme und die Marktwirtschaft ein. Man engagiert Unternehmensberater und erhält einen Kredit von der Citibank. Doch bereits im Frühsommer wehrt sich die Konkurrenz im Westen. Diese AG habe als ehemaliger Staatsmonopolist eine marktbeherrschende Stellung, formuliert der »Güterfernverkehrsverband«. Diese Botschaft wird dem Bundesverkehrsminister Friedrich Zimmermann von der CSU eingehämmert.
Das Ministerium wendet sich wenig später an die Treuhand: Die Vereinigte Transport AG muss aufgelöst werden. Die Treuhandmanager rufen die Geschäftsführer der AG zu sich und teilen ihnen mit, dass sie ab jetzt nur noch als Liquidatoren ihre Holding abwickeln dürfen. Die Speditionen, Lastwagen und Busunternehmen müssen einzeln verkauft werden. Die Aktiengesellschaft wird offiziell am 14. September liquidiert.
Die DDR gibt es nur noch wenige Tage, doch in der Treuhand lebt sie fort. Detlef Scheunert fällt eines Tages auf, dass die ostdeutschen Mitarbeiter – viele wurden noch von Peter Moreth angestellt – jeden Morgen vor sieben Uhr zusammenkommen, lange bevor die Westdeutschen eintreffen, um sich zu »beraten«, wie es in der DDR heißt. Ehemalige Ministerialbeamte wie er, Technokraten, SED-Mitglieder, sitzen dann im Büro eines Professors, der in der DDR für die Textilindustrie zuständig war.
Ein ostdeutscher Kollege fragt Scheunert eines Tages, ob er nicht auch einmal zu einem dieser Treffen kommen wolle, schließlich arbeite er oben, im achten Stock. Scheunert sagt zu. Man trifft sich in einem Büro in der fünften Etage.
Bei diesen Zusammenkünften besprechen die Ostdeutschen, denen ein Vorstand aus dem Westen vor die Nase gesetzt wurde, ihre eigene Strategie. Sie diskutieren: Welches Kombinat braucht wie viel Liquiditätskredite? Welche Informationen muss man vor den Westdeutschen verbergen, damit nicht zu viele Unternehmen geschlossen werden? Man will um die eigene Volkswirtschaft kämpfen, den Informationsfluss steuern. Was kann man noch retten? Man ruft in den Betrieben an, um sie vor Aktionen der Treuhand – etwa der geplanten Kündigung eines Geschäftsführers – zu warnen.
Manchmal werden die Mitglieder der »Schattentreuhand« auch selber von ehemaligen Genossen angerufen, die nach dem Organigramm der Treuhand fragen, um sich besser zurechtzufinden, wenn sie dort geschäftlich zu tun haben. Man verweist dabei gerne auf alte Verpflichtungen.
Detlef Scheunert merkt, dass seine Anwesenheit den anderen unangenehm ist. Sie können nicht einschätzen, auf welcher Seite er steht, ob er »übergelaufen« ist. Sie wissen nicht, von welcher »Seite des Flusses« er kommt. Bis zu fünfzehn Mitarbeiter erscheinen zu diesen Treffen. Sie bilden das Rückgrat der »Schattentreuhand«. Scheunert ahnt, dass es nicht gut für die Treuhand ist, wenn oben der Westvorstand in die eine und unten die ostdeutschen Sachbearbeiter in die andere Richtung ziehen. Und Detlef Scheunert muss sich wieder entscheiden, auf welcher Seite er stehen und wo er im neuen Deutschland hingehören will.
1991
DAS OPFER
Manche westdeutsche Unternehmen benehmen sich wie Kolonial-Offiziere. Die Ostdeutschen sind aber keine Fellachen, sondern Landsleute, die nach dem Krieg das kürzere Ende gezogen haben.
DETLEV KARSTEN ROHWEDDER
Treuhandpräsident
Der Tornado
2. Januar 1991, Berlin
Das letzte Jahr und die ersten Monate der Treuhand sind nicht spurlos an Detlev Karsten Rohwedder vorübergegangen. Die schleppende Hilfe der westdeutschen Unternehmen, zu wenig Personal, zu viel schlechte Presse setzen dem selbstbewussten
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