Der deutsche Goldrausch
übernehmen. Die britische Airline ist unter Maggie Thatcher privatisiert worden und sucht ein Standbein auf dem europäischen Kontinent. Das mitten in Europa liegende Schönefeld wäre ideal, auch weil die Fluggesellschaft das Recht zu verlieren droht, Berlin anzufliegen, wenn demnächst die Alliierten-Sonderrolle aufgehoben wird.
Obwohl der Bund 51 Prozent der Anteile an der Lufthansa hält und damit die Kontrolle über das Unternehmen hat, teilt die Bundesregierung nicht direkt mit, was sie von der Treuhand erwartet. Indirekt macht das Bundesverkehrsministerium den ostdeutschen Kollegen klar, dass man keine europäische Konkurrenz in Deutschland wünscht. Der Chef des DDR-Kartellamts, Reinhold Wutzke, erklärt: »British Airways ist auf der politischen Schiene weggeboxt worden. Das DDR-Verkehrsministerium hat Interflug Verhandlungen mit den Briten untersagt … da spielte wohl der Tatbestand vorauseilender Gehorsam eine Rolle. Politiker in Bonn und Ost-Berlin wünschen wohl eine einzige Fluglinie.« 7 Rohwedder steckt wieder tief im ministerialen Dickicht, das er selbst als »diese Gemengelage, dieses Geschiebe unterschiedlicher Interessen und kaum erkennbarer Einflüsse«, bezeichnet hat.
Der Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau will vollendete Tatsachen schaffen und übernimmt einen Teil der ostdeutschen Airline und Belegschaft, ohne das mit der Treuhand abzustimmen. Die Interflug gliedert dafür die gesamte Fracht- und Passagierabwicklung des Flughafens Schönefeld in eine Neugründung aus. An der neuen Firma hält die Lufthansa von August an 49 Prozent. Die Lufthansa kontrolliert damit jeden Ticketschalter auf dem Flughafen. An ihr käme in Schönefeld niemand mehr vorbei.
Nun schaltet sich das bundesdeutsche Kartellamt ein. Es untersagt die Beteiligung der Lufthansa an dem Flughafen. Das Geschäft ist blockiert. Unterdessen brechen die Buchungen der Interflug ein. Es fallen inzwischen 30 Prozent weniger Dienstreisen und 50 Prozent weniger Reisebürobuchungen an. Die Wirtschaftskrise in der DDR wirkt sich auch auf die Fluglinie aus. 200 Millionen D-Mark Schulden werde das Unternehmen bis zum Jahresende machen, prognostiziert der Interflug-Buchhalter. 8
Der Lufthansa-Chef Ruhnau erwartet, dass die Treuhand der Übernahme der Interflug-Techniker und Teile des Flughafens Schönefeld durch die Lufthansa zustimmen und damit sein Vorpreschen nachträglich legitimieren
wird. Nur so könne sie die Verluste minimieren, glaubt Ruhnau. Doch der Treuhandvorstand und Rohwedder, die als offizielle Vertreter des Eigentümers der Airline die Verträge unterschreiben müssen, weigern sich. Der Lufthansa-Chef ist ebenfalls in der SPD und war zur gleichen Zeit Staatssekretär wie der Stahlmanager Rohwedder. Man duzt sich. Doch das ändert nichts. Die beiden brüllen sich auf dem Flur der Treuhand-Niederlassung an. 9 Rohwedder will an seinem Vorhaben festhalten, Wettbewerb in den Osten Deutschlands zu tragen. Er sagt in Interviews, dass man eine offene freie Marktwirtschaft anstrebe und keine gigantischen großen deutschen Monopole. Zudem würde ein so großer Markt durchaus zwei Fluglinien vertragen. 10
Nun wird die Meldung gestreut, dass die Treuhand den Deal aufhalte und der Sicherung von Arbeitsplätzen im Weg stehe. 11 Dabei treffe das Bundeskartellamt die letztliche Entscheidung, das wiederum vom westdeutschen Wirtschaftsminister überstimmt werden kann. 12 Die Bundesregierung könnte eine prinzipielle Entscheidung treffen, tut es aber nicht, sondern hält sich in diesem Sommer zurück.
Das komplizierte Gerangel und Geschachere um ihre Fluggesellschaft verstehen die Interflug-Mitarbeiter nicht. Ständig gibt es neue Gerüchte und Konzepte um ihr Unternehmen. Konkret ist für sie nur das Angebot der Lufthansa. Schließlich richtet sich die Wut der Interflug-Mitarbeiter gegen die Treuhand, denn die hat im Gegensatz zum Bundeskartellamt und zur Bundesregierung Büros in Ost-Berlin, vor denen man demonstrieren kann.
An einem Tag im September stürmen die Interflug-Mitarbeiter das Bürohaus am Alexanderplatz. Sie gelangen ebenfalls in die oberen Stockwerke. Rohwedder ruft Klaus-Peter Wild, den zuständigen Vorstand, hinzu. Scheunert, der ihm folgt, sieht, wie die Betriebsräte den schmalen Flur entlangstürmen. Dann stehen die Interflug-Mitarbeiter den »dahergelaufenen Wessis« gegenüber, wie es Scheunert beschreibt. Sie sind aufgebracht, aufgebrachter noch als die Interhotel-Protestler; es scheint fast so, als wollten sie die
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