Der dicke Löwe kommt zuletzt
auf. Der hohe Kegel des Vulkans war unverwechselbar. Und wie bei seinem ersten Besuch prangten ihm die Hänge freundlich entgegen, grün, wie blankgeputzt, wie frischgewaschen.
Ka schwirrte über die Bucht. Da lag des Sultans Jacht neben dem kümmerlichen Ruderboot. Er schwirrte über die Büsche, die Bananenstauden, Orangenbäumchen und Dattelpalmen.
Aber zu seinem Kummer fand er den Sultan und das Kamel nicht, so tief er auch über Baumkronen, Blätter und Aste strich.
Ka umkreiste das Zelt des Scheichs: kein Laut!
Er blickte sich um. — Da entdeckte er in der Ferne den grauen Steinwürfel, die Festung. Und er flog hinüber.
In Ketten
Früher war sie eine uneinnehmbare Burg gewesen, mit dicken Mauern, tiefen Wällen und wuchtigem Turm. Noch heute wirkte sie furchteinflößend. Doch schon kollerten da und dort Steine herab, in der Mauer zeigten sich Risse, das Holztor hing schief in den Angeln. Ein Bau aber war besser erhalten: das Gefängnis. Seine Wände schienen aus dem schroffen Felsen herauszuwachsen. Den Gefangenen, die früher aus seinen Fensterlöchern geschaut hatten, mochte der Gedanke an Flucht schnell vergangen sein, so grimmig schäumte unten die See gegen die Klippen, so schwindelerregend fiel der Kegel ab.
Aus einem vergitterten Fenster klang ein unterdrücktes Stöhnen. Ka klopfte das Herz schneller. Er fand eine winzige Öffnung. Sie war mit fingerdicken rostigen Eisenstäben, die ineinander verflochten waren, vergittert. Gerade groß genug war der Zwischenraum für Ka.
Er krallte sich auf einem Eisenstabe fest. Langsam stellten sich seine Augen auf die Dunkelheit des Raumes ein. Nach und nach erkannte er Mauerstücke, zuerst dort, wo das Tageslicht matt hinleuchtete, dann sah er Stroh auf dem Boden — darauf einen Mann, halb sitzend, halb liegend, den Kopf gesenkt.
»Sultan — , o Sultan — , bist du es?« krächzte er.
»Ka!« rief der Sultan. Es klang wie ein Jauchzen. »Ka, dich schickt der Himmel — ich bin gerettet!«
Seine Stirn sank erneut vornüber, so daß sein Kinn die Brust berührte.
Ach, dachte Ka bekümmert, es steht schlecht um ihn! Er schaute sich sorgfältig um, ob ihn auch niemand gesehen hatte. Er prüfte das Gitter, bemerkte aber nichts, was auf eine Klappe schließen ließ, die plötzlich zuschnappte.
Nun flatterte er in das Verlies hinab. Der Boden war mit faulem Stroh bedeckt. Es war feucht — und durch die winzige Fensteröffnung leuchtete nur wenig Licht.
Ka hüpfte auf des Sultans nackte Fußspitze, sogar die Pantoffeln hatte man dem Armen weggenommen. Er trug nur sein braunes Gewand. Und da er sich nicht rasieren konnte, sproßten auf Wangen und Kinn die Bartstoppeln.
»He, Sultan«, rief Ka, »wach auf!« Er zwickte ihn in den großen Zeh.
Der Sultan seufzte und öffnete die Augen. »Verzeih«, murmelte er, »ich bin entkräftet. Aber nun habe ich neuen Mut. Die Hoffnung wird mich beleben. Wie geht es euch?«
Ka erzählte. Als der Sultan von Löwes Unglück erfuhr, wurden seine Augen feucht. Doch nahm er sich zusammen. »Ich muß fliehen«, flüsterte er, »so schnell wie möglich. Man läßt mich verhungern. Ich bin angekettet. Kannst du mir eine kleine Feile bringen?«
»Sicher«, versprach Ka. »Vor allem aber müssen Dok und die Kinder herkommen...«
»Nein!« rief der Sultan entsetzt. »Sie dürfen nicht in die Nähe des Scheichs.«
»Ja — aber wie sollen wir dich sonst retten? Der Weg von Sultanien hierher ist zu weit — ich kann ihn nicht täglich zurücklegen und auch noch Dinge tragen. Sicher wird dir Dok eine Medizin geben — und du mußt ernährt werden. Vielleicht finden wir ein sicheres Versteck in den Bergen.«
»Ich muß alles euch überlassen. Meine Hände sind wahrhaftig gebunden! Ach — und ich bin auch noch selber schuld an diesem Unglück!«
»Nun«, sagte Ka, »jetzt sind wir ja da! Und ich will mich beeilen! Leb wohl, o Sultan, und vertraue auf mich, vertraue auf deine Freunde!«
Der Sultan lächelte und hob die Hand, um zu winken. Die Kette rasselte.
Ka visierte eine Öffnung im Gitter an, schwang sich auf, streckte den Kopf und machte sich schlank, indem er die Flügel eng an den Körper preßte. Schon war er draußen.
Der Sultan schaute ihm glücklich nach. Nur wenn er an Löwe dachte, krampfte sich sein Herz zusammen. Aber er verscheuchte die trüben Gedanken. Ich werde, wenn ich wieder frei bin, in der ganzen Welt nach ihm suchen, schwor er sich, und sollte es bis an mein Lebensende dauern!
Diebstahl
Ka
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