Der dicke Löwe kommt zuletzt
hier sind.«
»Bin schon unterwegs«, krächzte Ka.
Aber als er zurückkam, rief er aufgeregt: »Schrecklich! Seine Zelle ist leer!«
Flucht
Ka hätte sich besser umsehen sollen! So erschrocken war er, den Sultan nicht mehr angekettet zu finden, daß er gleich wieder umkehrte. Deshalb bemerkte er nicht das ausgebrochene Gitter des Fensters.
In der Nacht war der Sultan geflohen.
Tagelang hatte er angeschmiedet an der feuchten Wand gesessen. Jede Sekunde war ihm zur Qual geworden. Unermüdlich hatte er an den Ketten gefeilt. Zum Glück war das Eisen schon alt, brüchig und angerostet. War der Strich, den er hineinritzte, zunächst noch sehr fein, schließlich wurde er millimetertief, und nach vielem mühevollem Feilen war eine Hand frei. Viele weitere Stunden brauchte er für die zweite.
Inzwischen dämmerte es, die Nacht kam. Eine unheimliche Stunde im feuchten Gemäuer, wo kein Licht brannte, wo der Wind heulte.
Aber hinter dem Gitterfenster lag die Freiheit! Er packte die Stäbe, rüttelte daran — und sie lösten sich langsam aus der morschen Wand.
Dunkel war es, auch der Mond schien nicht. Nur die Sterne leuchteten matt. Zwar war der Abstieg über den steilen Felsen ein waghalsiges Abenteuer, aber er brauchte wenigstens nicht zu befürchten, entdeckt zu werden, bevor der Morgen kam. Und die schwindelnde Tiefe lag unter ihm in wohltuender Unsichtbarkeit.
Unendlich vorsichtig tasteten sich seine nackten Füße hinab. Jeden Millimeter untersuchten seine Zehen, bis sie einen Halt fanden. Seine Finger krallten sich in die Fugen des Mauerwerks, aus denen der Mörtel bröselte. Steine kollerten hinab.
Aber sonst war kein Laut zu hören. Nur das Meer sang sein brausendes Lied unten, sehr weit unten.
So bewegte sich der Sultan, eng am Felsen, mühsam und qualvoll hinab. Seine Arme begannen zu zittern. Seine Finger erlahmten, sein Griff wurde unsicher.
Die Mauer der Festung lag nun über ihm. Er erreichte den schroffen Felsen. Immer unberechenbarer wurde der Abstieg, es kamen Vorsprünge, die unter seinem suchenden Fuß zurückwichen, so daß er wieder emporklettern mußte, um es woanders zu probieren. Manchmal spürte er ein Stück Rasen, ein wenig Erde. Dann atmete er auf. Aber es war trügerischer Grund, auf dem er ausglitt und der sich leichter löste als der Fels.
So quälte er sich — hielt ein, um auszuruhen, lehnte die schweißnasse Stirn an den Stein, verwünschte seine Ungeduld, konnte weder vor noch zurück, sah einen Streifen Licht im Osten dämmern, wußte, daß der Morgen kam. Nun erkannte er auch das Meer, die kleinen Wellen, die Schaumkronen, und es gab keinen Weg hinab, keinen Pfad, keine Stufen, auf denen er sich hinabtasten konnte.
Ermattet schloß er die Augen — und da geschah es: Er war ganz kurz eingeschlafen. Als er aufwachte, segelte er durch die Luft, fiel... fiel... Sein Gewand blähte sich, Felsen sausten vorbei — das war das Ende.
Aber das Schicksal meinte es gnädig mit ihm. Was er bei klaren Sinnen nicht gewagt hätte — einen Sprung zu machen — , nun war es getan. Er klatschte ins Meer, wie durch ein Wunder mit den Füßen zuerst. Sein Umhang mochte den Sturz gemildert haben, wie ein Fallschirm; er fühlte einen Ruck, einen Stoß — die Kälte spürte er nicht, nur nach Luft rang er, tief im Wasser und zu Tode erschrocken. Als er auftauchte, schwamm er, bewegte sich automatisch, noch ehe er wieder denken konnte.
An den Felsen tobte die Brandung. Nirgends konnte er an Land. Die Wellen hätten ihn auf den Steinen zerschmettert.
Die Sonne ging auf und überstrahlte das Meer. Das Licht blendete. Doch der Sultan trieb hoffnungslos im Wasser, wußte nicht, ob er sich nach rechts oder nach links wenden sollte. Sein nasses Gewand zerrte ihn unbarmherzig in die Tiefe.
Da hörte er einen Schrei: »Sultan!« Er blickte auf.
»Ach... Ka...«, röchelte er, »es ist aus... Sag allen, daß ich... sie... lieb gehabt habe...«
Es wurde Nacht um ihn.
Im Himmel?
Als er die Augen wieder aufschlug, lag er auf einem Teppich, und rings umgab ihn braune Asche. So war das also, wenn man tot war!
»Er kommt zu sich!« Dok lächelte. »Keine Sekunde später hätten wir ihn aus dem Wasser fischen dürfen!«
Liebevoll gepflegt, gewann der Sultan nach und nach seine Kräfte zurück. Doks ärztliche Kunst stellte ihn wieder auf die Beine, auf die Sultansfüße mit den roten, goldbestickten Pantoffeln. Ja! — Pips hatte heimlich seine kostbaren Gewänder, die weiten Hosen und sogar den
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