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Der Doge, sein Henker und Ich

Der Doge, sein Henker und Ich

Titel: Der Doge, sein Henker und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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und gleichzeitig Risse bekam. Aus ihnen rieselte grauer Bleistaub, der über die Schultern nach unten rann. Der Kopf nahm an Masse ab. Von Sekunde zu Sekunde wurde er weniger. Er verkleinerte sich, Gesichtszüge waren längst nicht mehr zu erkennen.
    Lebte er, war er tot?
    Keiner der Anwesenden konnte es genau sagen. Aber jeder Gast wußte, daß Pietro von einem schrecklichen Fluch oder Verhängnis getroffen worden war, das ihn verwandelt hatte.
    Noch saß er auf dem Hocker, umringt von seinen ehemaligen Zechkumpanen, die ihn aus großen Augen und bleichen Gesichtern anstarrten.
    In die kleine Bar war der Schrecken eingekehrt, und er hatte noch kein Ende gefunden, denn Pietro Lombardi bewegte sich.
    Er stand auf!
    Ein Mensch ohne Kopf und Hände. Mit einem Ruck glitt er vom Hocker. Beide Füße fanden noch Halt, auch wenn er sich breitbeinig hinstellte, bevor ein Ruck durch die Gestalt ging.
    Dann lief er!
    Einen Schritt, den zweiten. Er stieß gegen einen Hocker, der zur Seite glitt, aber der Kopflose ließ sich nicht stören, er schaffte es, weiterzugehen und fiel plötzlich nach vorn, genau auf einen Gast zu. Der war so überrascht, daß er tatenlos zusah, bis der Körper des Kopflosen gegen ihn prallte. Dann jedoch schrie er auf. Es war ein wilder Schrei, der durch den Raum drang. Und er wirkte wie ein Signal. Plötzlich kam Bewegung in die Reihen der Gäste, sie hatten nur dieses Signal gebraucht. Panik brach aus.
    Keiner blieb mehr auf seinem Platz. Der Ausgang war ihr Ziel. Hocker kippten um, Tische flogen zur Seite, an der Tür drängten sich die Leute. Jeder wollte so rasch wie möglich das Gebiet des Schreckens verlassen. Nur der Wirt blieb stehen.
    Luigi glich hinter der Theke einem Denkmal. Er lehnte mit dem breiten Rücken am Flaschenregal, war selbst erstarrt, bleich im Gesicht und hatte nur Augen für Pietro.
    Der war über einen Rücken gefallen. Luigi konnte noch seinen runden Rücken sehen, über den eine dünne, graue Staubfahne aus Blei trieb. Der Wirt ging einen Schritt vor, um alles überblicken zu können, und erfaßte mit einem Blick den Untergang seines ehemaligen Gastes. Pietro Lombardi rollte über den Rand des Hockers hinweg, prallte auf den Fußboden. Das Geräusch des Aufpralls läutete sein Ende ein. Wie schon die Hände und der Kopf, so löste sich der ganze Körper auf. Dieser Vorgang wurde von knirschenden und rieselnden Geräuschen begleitet, die auch der Wirt vernahm. Sie beruhigten ihn zwar nicht, trotzdem wußte er, daß ihm keine Gefahr mehr drohte. Mit zitternden Knien verließ er seinen Platz hinter der Theke und sah den veränderten Gast am Boden liegen. Der trug noch seine Kleidung. Durch die Öffnungen rieselte es hervor. Grauer Bleistaub, der von nebelartigem Rauch begleitet wurde. Luigi wußte nicht, wie lange er auf der Stelle gestanden und zugeschaut hatte. Irgendwann kam ihm zu Bewußtsein, daß er keine Ewigkeit warten konnte.
    Er ging zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei. Danach brauchte er einen Grappa…
    ***
    »Blei«, sagte Commissario Torri, »nur Blei.« Er stand neben Jane und mir, öffnete die kleine Plastiktüte und kippte den Inhalt zu Boden, wo er ihn mit der Fußspitze verteilte. »Mehr ist von dem Zeugen nicht übriggeblieben. Nur Blei.«
    Ich nickte. »Und wie war es mit den drei anderen in der Leichenkammer?«
    »Ebenso.«
    »Das deutet auf eine bestimmte Spur hin.« Torri lächelte. »Ich weiß, woran Sie denken, Signore Sinclair. An die Bleikammern.«
    »Sehr richtig.«
    »Das ist aber nicht möglich. Die Bleikammern wurden 1797 zerstört, wie Sie vielleicht wissen.«
    »Nein, das war mir neu.«
    »Sind denn alle zerstört worden?« fragte Jane.
    »Das nehme ich doch an.«
    »Aber irgend etwas müssen diese Personen doch mit den Bleikammern zu tun gehabt haben.«
    »Fragen Sie mich etwas Leichteres, Signorina, ich bin leider nicht allwissend.«
    Ich kam wieder auf den Dogen zu sprechen. »Dieser Cabrisi, der die Schreckensherrschaft über Venedig ausgeübt hat, starb auch in den Bleikammern.«
    »So ist es.«
    »Sollten er und sein Henker tatsächlich die Fäden ziehen, was im Prinzip unwahrscheinlich ist, wir aber nicht von der Hand weisen wollen, müßten sie damals den Bleikammern entkommen sein.«
    Torri staunte mich an. »Sinclair, Sie holen weit aus.«
    »Das habe ich so an mir. Ich sehe ansonsten keine andere Möglichkeit. Die wenigen Spuren, die wir besitzen, weisen eindeutig in diese Richtung. Wir rechnen damit, daß wir es mit

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