Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Doge, sein Henker und Ich

Der Doge, sein Henker und Ich

Titel: Der Doge, sein Henker und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
drehte sich dann, weil er die meisten seiner Freunde im Blickfeld behalten wollte. »Ich bin froh, daß ich wieder bei euch sein kann.«
    Ja, das waren Sätze, die sie gern hörten. Sie nickten ihm zu, aber Luigi sprach das aus, das wohl viele dachten.
    »Du siehst schlecht aus, Pietro. Fehlt dir was?«
    »Ja!« meldete sich jemand aus dem Hintergrund. »Ihm hat etwas gefehlt. Der Grappa.«
    Alles lachte, nur Pietro nicht, denn er merkte, daß ihm der Grappa nicht so gut bekommen war. Sonst hatte er sich immer sehr wohl gefühlt, aber jetzt konnte er kaum sprechen, seine Zunge war schwer wie Blei. Das Lachen verstummte. Sein Nachbar rüttelte ihn an der Schulter.
    »Was ist los, du trübe Tasse?« Er kam mit seinem Kopf näher, und sein Gesicht nahm plötzlich einen erschreckten Ausdruck an. »Meine Güte, du bist ja ganz grau. Wie… wie…« Er suchte nach einem Vergleich.
    »Wie Blei.«
    »So fühle ich mich auch.«
    Die anderen Gäste hatten den Vergleich des Mannes mitbekommen, waren still geworden und hatten auch die geflüsterte Antwort vernommen. Schlagartig wurden sie still.
    »Was ist denn?« fragte der Wirt.
    Pietro hob müde den Blick. »Kann ich noch einen Grappa haben?«
    »Klar, alles. Geht auf Kosten des Hauses. Wenn du nur wieder in Form kommst, mein Junge.«
    Das Glas wurde Pietro zugeschoben, und er umfaßte es mit beiden Händen. Das blieb auch dabei, als er es anhob. Aus trüben Augen schaute er über den Rand hinweg in Luigis besorgtes Gesicht. Ersetzte den Glasrand an die Lippen, kippte die Flüssigkeit, kam aber nicht mehr dazu, den Schnaps zu trinken, denn urplötzlich zerbröselte seine Hand. Er schaute darauf und bekam mit, wie sie buchstäblich auseinanderfiel, zu Staub wurde, der wie ein grauer Regen auf die Thekenplatte rieselte und dort liegenblieb.
    Luigi ging zurück. Er konnte sich nur einen halben Schritt bewegen, dann stieß er gegen das Regal. Sein Mund stand offen, ein Schrei drang nicht über seine Lippen, nur ein schweres Ächzen, und er schüttelte den Kopf, als könnte er das alles nicht fassen.
    Den anderen Gästen erging es ähnlich. Sie alle hatten das Grauenhafte gesehen und konnten es nicht fassen. Sie stierten den Gast an, auf ihren Gesichtern zeichnete sich die Gänsehaut ab, aber niemand ging. Sie blieben da und hatten dennoch den Eindruck, alles weitere als Unbeteiligte zu erleben, denn Pietro kam ihnen vor, wie auf einer Insel hockend. Um ihn herum hatte sich eine Zone gebildet, die allein vom Grauen und den unheimlichen Vorgängen diktiert wurde. Noch hockte er auf dem Sitz. Die rechte Hand war ihm abgefallen und lag nun als Metallstaub auf der Theke. Pietro Lombardi hielt den Arm noch immer angewinkelt. Mit dem Ellbogen stützte er sich auf der Theke ab. Aus dem Ärmel schaute der graue Stumpf des Gelenks, das noch nicht abgefallen war.
    Das Glas hielt er in der Linken. Und jeder vernahm das leise Knacken und Knirschen, als es durch den starken Druck der Finger zerbrach, die ebenfalls die bleigraue Farbe angenommen hatten.
    Die Haut veränderte ihre Farbe. Der Schimmer verdichtete sich, und einen Augenblick später löste sich die Hand auf. Wieder zerrieselte sie, so daß ein zweiter Armstumpf aus dem Ärmel schaute. Im Hintergrund betete ein Mann leise. Niemand achtete auf ihn. Die Gäste hatten nur Augen für ihren Freund Pietro Lombardi, der ohne Hände auf einem Barhocker saß, den Kopf zurückgelegt und den Mund geöffnet hatte.
    Über seine Lippen drangen schluchzende Geräusche, die auch nicht verstummten, als er sich unter unsäglichen Mühen zur Seite drehte, um die Gäste anzuschauen.
    Er starrte in ihre Gesichter, sah die Angst in den Zügen, sprach kein Wort und stierte nur vor sich hin.
    Sekunden vertropften in quälender Monotonie. Die Angst weilte als unsichtbarer Gast zwischen ihnen.
    Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung schaffte Lombardi es, noch einmal den Mund zu öffnen und einige Worte zu sagen. »Sie… sie haben mich erwischt. Sie waren stärker als ich… sie waren stärker…«
    Niemand fragte, wer ihn erwischt hatte, aber er redete auch freiwillig weiter. »Es waren die beiden… der Henker und der Doge. Turrio und Giancarlo Cabrisi. Hört ihr, sie sind wieder da. Ich… ich habe sie doch gesehen…«
    Es waren seine letzten Worte, er konnte nicht mehr sprechen. Dafür nickte er. Nur war es kein Nicken, er konnte seinen Kopf einfach nicht mehr halten, und die Gast sahen plötzlich, daß sich auch in seinem Gesicht die Haut veränderte

Weitere Kostenlose Bücher