Der Doge, sein Henker und Ich
an graues Blei, aber plötzlich bewegte er die Schultern.
Es war für ihn wie ein Startsignal.
Er trat mit dem rechten Fuß zuerst einen Schritt nach vorn und berührte die viertletzte Stufe. Dann die drittletzte, die zweitletzte, und ich behielt ihn im Strahl meiner Lampe.
Er schlug den direkten Weg zu mir hin ein. Die eingeschaltete Lampe wies ihm genau das Ziel.
Als er die Treppe hinter sich gelassen hatte, machte ich ihm einen Strich durch die Rechnung.
Ich löschte das Licht!
Wie ein großer Sack fiel die Finsternis über den Saal. Ich konnte nichts mehr sehen, selbst meine Hand nicht, wenn ich sie dicht vor die Augen hielt. Da waren die Finger nur mehr zu ahnen.
Sofort wechselte ich meinen Standort. Ich hatte mir eingeprägt, wo sich ungefähr die breiten Säulen befanden. Hinter ihnen konnte ich Deckung finden.
Auf möglichst leisen Sohlen bewegte ich mich nach rechts, um zu einer Säule zu gelangen. Mit der Schulter berührte ich sie und schlich um sie herum.
Als ich die für mich günstigste Stellung gefunden hatte, ging ich in die Knie und blieb in dieser Haltung hocken. Sehr vorsichtig zog ich den Reißverschluß des Taucheranzugs nach unten. Die beiden Hälften klafften weit auf, so daß auch mein Kreuz freilag. Der Henker und sein Doge hatten in einer Zeit gelebt, die vom Christentum beherrscht wurde. Das Kreuz war schon damals eine Waffe gegen das Böse gewesen wie auch heute.
Wenn der Henker mit dämonischen Mächten in Verbindung gestanden hatte, mußte er das Kreuz einfach fürchten.
Ich wartete.
Es war ein regelrechter Nervenkrieg, der nun begann. Auch der Henker verhielt sich still. Vielleicht ahnte Turrio, daß ich eine Waffe besaß, die ihn töten konnte.
Ich faßte vorsichtig die schmale Silberkette an und streifte sie über meinen Kopf, ebenso wie das Kreuz. Wenn der Henker direkt angriff und ich ihn hörte, wollte ich das Kreuz gegen ihn schleudern. Dann hörte ich das Kratzen.
Es war ein Geräusch, das auf meinem Rücken eine Gänsehaut hinterließ. In Bodenhöhe klang es auf, als würde etwas über den Stein schleifen. Ich mußte raten, was es war.
Die Spitze des Schwertes!
Und das Geräusch nahm an Lautstärke zu. Der Henker mußte die Augen einer Katze besitzen oder einen übersensiblen Instinkt, denn er wußte genau, wo ich hockte.
Langsam stemmte ich mich hoch. Da verstummte das Kratzen. Turrio war da!
***
Auch über die Stadt Venedig hatte sich die Dunkelheit gesenkt, aber es war nicht völlig finster geworden, denn an den prachtvollen Bauten und auch an den großen Kanälen brannten die Lichter in einer romantischen Pracht. Wenn Spotlights aufgestellt worden waren, dann breitete sich ihr Schein fächerförmig über das alte Mauerwerk aus und gab diesem einen Zauber, der jeden beeindruckte.
Auch jetzt, wo es kühl war, fuhren noch einige Gondeln. An ihnen hingen Laternen, die im Rhythmus der Schiffsbewegungen mitschaukelten und zuckende Lichtteppiche auf die dunkle Oberfläche des Wassers zeichneten.
Sie halten bereits den Canale Grande erreicht und eine fast höllische Fahrt hinter sich. Der Deutschen wäre es fast schlecht geworden, denn ihr Boot war oftmals wie ein langer Korken über die Wellen gehüpft. Im Canale Grande jedoch mußte Torri mit der Geschwindigkeit herunter. Er hatte den beiden Frauen erklärt, daß sie den Piazza San Marco ganz offiziell vom Canale Grande aus betreten würden.
Renate Gehrmann und Jane Collins vergaßen beide ihren eigentlichen Auftrag, als sie sich dem Ziel näherten, denn der Platz bei Nacht war etwas Besonderes, das mußte man einfach gesehen haben. Die zahlreichen alten Laternen vor dem zum Wasser hin liegenden Dogenpalast wirkten wie Grüße aus einer fernen Welt, die auf Besucher wartete. Ihr Schein breitete sich so weit aus, daß er sich auf der Wasserfläche spiegelte und die in ihn hineinfahrenden Boote wie Geisterschiffe wirkten.
Der Palast des Dogen war um diese Zeit abgeschlossen. Hinter den zahlreichen Rundbogenfenstern brannten keine Lichter. Die Besichtigungszeit war vorbei. Um den Innenhof des rechteckig angelegten Gebäudes zu erreichen, hätte man Hindernisse zur Seite räumen müssen.
In langsamer Fahrt glitten sie auf eine Anlegestelle zu, nicht weit entfernt von den vertäuten Gondeln, mit denen die Touristen an Venedigs berühmtester Stelle ihre Rundfahrten begannen.
Der Commissario fand noch eine Lücke, in die sich der Bug des Schiffes hineinschob. Wellen rollten gegen die Mole, klatschten auch vor die
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