Der Doge, sein Henker und Ich
blieb sie schweratmend auf dem kalten Steinboden liegen, schielte an Torri vorbei, ohne allerdings viel sehen zu können.
Sie entdeckte nur Renate Gehrmann. Die Deutsche stand unbeweglich auf der breiten Treppenstufe und wagte nicht, sich zu rühren. Ihr Blick war in die Richtung geglitten, aus der Jane Collins schlurfende Schritte vernahm.
Da kam jemand, und das konnte nur Giancarlo Cabrisi, der untote Doge sein!
Torri nahm die Waffenmündung zurück. »Bene, Signorina, jetzt wirst du aufstehen und den Dogen begrüßen, so wie es sich für ihn gehört. Aber keine Dummheiten!«
Er trat einen halben Schritt zurück, um die Detektivin zu beobachten, die diese harten Schläge noch immer nicht überwunden hatte und mit viel Mühe hochkam.
Jane hatte das Gefühl, als hätte man sie in eine Mühle gesteckt. Als sie endlich stand, begann vor ihren Augen die Welt zu kreisen. Der Commissario trat dicht an sie heran. »Reiß dich zusammen.« Er packte sie an der Schulter und drehte sie so, daß sie dem Dogen entgegenschauen mußte, ob sie wollte oder nicht.
Den Henker hatte sie schon gesehen, aber jetzt kam zum erstenmal sein Chef auf sie zu.
Giancarlo Cabrisi war eine unheimliche Gestalt. Ein Wesen, das einem Angst und Schrecken einjagen konnte, auch in dieser Dunkelheit. Vielleicht lag es an seiner goldenen Maske, die das Gesicht bedeckte und einen fahlen Schimmer abgab. Die übrige Gestalt war dunkel wie der Untergrund, über den er schritt und seine Beine dabei schlurfend bewegte, denn die Füße schleiften über den Boden.
Jane maß die Größe der Gestalt mit den Blicken ab. Man sprach oft davon, daß die Menschen früher kleiner gewesen waren. Das traf bei dem Dogen nicht zu.
Er war hochgewachsen, ziemlich schlank. Auf seinem Kopf und über der Maske lag das pechschwarze Haar wie angeklebt. Die Maske war so gefertigt, daß sie die Augen und den Mund freiließ. Jane fielen dabei wulstige Lippen auf.
Die untere Hälfte der Nase konnte sie auch erkennen, weil die Maske nur den oberen Teil umschloß.
Eine halbe Körperlänge vor Jane Collins blieb der Doge stehen. Er trug ein einfaches Kleidungsstück von dunkler Farbe, das in der Mitte von einem schlichten Gürtel gerafft wurde.
Vergeblich versuchte Jane, die Farbe seiner Augen zu erkennen. In der Dunkelheit war ihr das leider nicht möglich, aber sie spürte die Erregung ihres Bewachers, denn sein Zittern übertrug sich auch auf die Waffe, deren Mündung Janes Hals berührte.
»Das ist sie!« sagte er. »Das ist dein Opfer, König über Venedig. Nimm es hin!«
Der Doge rührte sich nicht. Seine Blicke tasteten Jane ab. Cabrisi stank nach Blei und nach Abfall, der sich in den Kanälen gesammelt hatte.
In diesen Augenblicken dachte sie auch an John Sinclair, mit dem sie verabredet gewesen war. John hatte sich noch nicht blicken lassen. Wahrscheinlich war der Henker doch stärker gewesen. Zumindest hatte er Johns Ankunft verzögern können.
Doge und Henker gehörten zusammen. Weshalb zeigte sich Turrio nicht? Wollte er dem Dogen die Hauptarbeit überlassen? Tötet Giancarlo Cabrisi jetzt auch?
Jane hatte sich an den Mündungsdruck gewöhnt. Über den Lauf hinweg fuhr ihr der warme Atem des Commissarios ins Gesicht. Immer wenn er ausatmete, vernahm sie ein leichtes Pfeifen. Auch er stand unter einem seelischen Streß.
»Dein Opfer, o mächtiger Doge!« wiederholte er fast seine Worte.
»Nimm es endlich!«
Der Doge bewegte sich. Er winkelte seinen rechten Arm an und schob die Hand unter das Oberteil seines Umhangs. Für einen Moment verweilte die Hand in dieser Haltung, und als er sie wieder hervorzog, erschrak Jane zutiefst.
Cabrisi hatte einen Dolch hervorgeholt!
Eine goldene Waffe, die zu ihm paßte. Der Griff war ein stilisierter Löwenkopf. Hinter ihm begann eine relativ breite Klinge, die sich zum Ende hin verjüngte und eine sehr schmale Spitze besaß. Der Dolch des Dogen, ein Instrument der Macht, das er rücksichtslos einsetzen würde.
Sie hörte Torri lachen. »Siehst du die Waffe, kleine Signorina?« fragte er. »Siehst du sie? Sie wird dich vom Leben in den Tod befördern, das kann ich dir versichern. Nicht der Henker schlägt dir den Schädel ab, der Doge übernimmt es selbst.«
Jane wuchs bei der Antwort über sich selbst hinaus. »Ja«, sagte sie, »weil der Henker es nicht schafft. Er ist nicht gekommen. Wahrscheinlich hat ihn John Sinclair fertiggemacht. Sinclair ist stärker gewesen als dieser widerliche Dämon.«
»Wie kannst du das
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