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Der Doppelgänger

Der Doppelgänger

Titel: Der Doppelgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij , Fedor Michajlovic Dostoevskij
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beeilte sich sofort nach seiner steten Gewohnheit eine ganz besondere Miene anzunehmen, eine Miene, die deutlich zum Ausdruck brachte, daß er, Goljadkin, still für sich dahingehe und sich um nichts kümmere, und daß der Weg für alle breit genug sei, und daß er selbst, Goljadkin, niemandem etwas zuleide tue. Plötzlich blieb er wie angenagelt, wie vom Blitz gerührt stehen, drehte sich dann schnell um und blickte dem Passanten nach, der soeben an ihm vorbeigegangen war, und zwar drehte er sich mit einer solchen Miene um, als wenn ihn eine fremde Kraft rückwärts zöge, als wenn ihn der Wind wie eine Wetterfahne umdrehte. Der Fußgänger war schnell in dem Schneegestöber verschwunden. Auch er ging eilig, auch er war wie Herr Goljadkin gekleidet und vomKopf bis zu den Füßen eingehüllt und trippelte ebenso wie dieser mit schnellen, kleinen Schritten in einer Art von Trab auf dem Trottoir an der Fontanka dahin. »Was ist das?« flüsterte Herr Goljadkin, mißtrauisch lächelnd, aber am ganzen Leibe zitternd. Ein kalter Schauder lief ihm den Rücken entlang. Unterdessen war der Passant gänzlich verschwunden, auch seine Schritte waren nicht mehr zu hören; aber Herr Goljadkin stand immer noch da und sah ihm nach. Endlich indes kam er allmählich wieder zur Besinnung. »Aber was soll denn das heißen?« dachte er ärgerlich; »bin ich denn wirklich verrückt geworden?« Er wandte sich um und setzte seinen Weg fort, wobei er seine Schritte mehr und mehr beschleunigte und sich bemühte, überhaupt an nichts mehr zu denken. Zuletzt schloss er sogar in dieser Absicht die Augen. Auf einmal schlug mitten in dem Geheul des Windes und dem Geräusch des Unwetters wieder der Schall sehr naher Schritte an sein Ohr. Er fuhr zusammen und machte die Augen auf. Vor ihm war in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Schritten wieder die dunkle Gestalt eines Menschen sichtbar, der sich ihm schnell näherte. Dieser Mensch eilte und hastete; die Entfernung verminderte sich rasch. Herr Goljadkin konnte seinen neuen verspäteten Gefährten sogar schon ganz deutlich sehen; er blickte hin und schrie vor Erstaunen und Schreck auf; die Beine brachen unter ihm zusammen. Es war jener selbe ihm bekannte Fußgänger, den er etwa zehn Minuten vorher an sich hatte vorbeigehen sehen, und der plötzlich ganz unerwartet jetzt wieder vor ihm erschien. Indes war dieses Wunder nicht der einzige Grund, weswegen Herr Goljadkin erstaunt war; erstaunt aber war Herr Goljadkin in so hohem Grade, dass er stehen blieb, aufschrie und etwas sagen wollte. Er machte sich daran, dem Unbekannten nachzulaufen; er rief ihm sogar etwas zu, wahrscheinlich in dem Wunsche, ihn schneller zum Stehenbleiben zu veranlassen. Der Unbekannte blieb wirklich ungefähr zehn Schritte von Herrn Goljadkin entfernt stehen, und zwar so, dass das Licht einer nahestehenden Laterne vollständig auf seine ganze Gestalt fiel; er blieb stehen, wandte sich zu Herrn Goljadkin um und wartete mit ungeduldiger, ernster Miene darauf, was dieser ihm sagen werde. »Entschuldigen Sie; ich habe mich wohl geirrt,« sagte unser Held mit zitternder Stimme. Der Unbekannte drehte sich schweigend und ärgerlich wieder um und setzte schnell seinen Weg fort, wie wenn er sich beeilen wollte, die mit Herrn Goljadkin verlorenen zwei Sekunden wieder einzubringen. Was Herrn Goljadkin betrifft, so zitterten ihm alle Glieder, die Knie wurden ihm schwach und knickten ein, und er setzte sich stöhnend auf einen neben dem Trottoir stehenden Prellstein. Übrigens hatte er wirklich allen Grund, in solche Bestürzung zu geraten. Die Sache war die, dass dieser Unbekannte ihm jetzt gewissermaßen bekannt vorkam. Und das wäre alles noch nichts gewesen. Aber er erkannte diesen Menschen, erkannte ihn jetzt fast mit Sicherheit. Er hatte ihn häufig gesehen, diesen Menschen, hatte ihn irgendwann gesehen, sogar erst ganz vor kurzem; wo war das doch gewesen? Etwa gestern? Übrigens war auch das wieder nicht die Hauptsache, dass Herr Goljadkin ihn häufig gesehen hatte: es war auch an diesemMenschen fast nichts Besonderes; er konnte entschieden beim ersten Blicke niemandes besondere Aufmerksamkeit erregen. Er war eben ein Mensch wie alle andern, selbstverständlich ein ordentlicher Mensch wie alle ordentlichen Menschen und besaß vielleicht irgendwelche, sogar recht erheblichen guten Eigenschaften; kurz, er war ein gewöhnlicher Mensch. Herr Goljadkin hegte sogar keinen Haß, keine Feindschaft, ja nicht einmal den leisesten

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