Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Doppelgänger

Der Doppelgänger

Titel: Der Doppelgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij , Fedor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
er alles vergaß: die Ismailowski-Brücke und die Schestilawotschnaja-Straße und seine jetzige Lage... In der Tat was konnte ihm noch weiter begegnen? Es war ihm ja jetzt alles gleich: die Sache war geschehen, sein Entschluß unerschütterlich gefaßt; was konnte ihm nochwiderfahren? ... Plötzlich ... plötzlich zuckte er mit dem ganzen Körper zusammen und sprang unwillkürlich ein paar Schritte zur Seite. Mit einer unerklärlichen Unruhe begann er um sich zu blicken; aber es war niemand da, es hatte sich nichts Besonderes ereignet, und doch... und doch war es ihm so gewesen, als hätte jemand soeben, in diesem Augenblicke bei ihm gestanden, dicht neben ihm, ebenfalls auf das Ufergeländer gelehnt, und hätte (wunderbar!) sogar etwas zu ihm gesagt, schnell, abgebrochen und nicht ganz verständlich, aber über einen ihn angehenden, ihn sehr nahe angehenden Gegenstand. »Ach was, es wird mir nur so vorgekommen sein, nicht wahr?« sagte Herr Goljadkin, indem er sich noch einmal rings umschaute. »Aber wo stehe ich denn hier? ... Ach ja, ach ja!« schloss er, den Kopf hin und her wiegend, begann aber mit einem unruhigen, traurigen Gefühle, ja mit Angst in die trübe, feuchte Ferne zu blicken, wobei er seine Augen aufs äußerste anstrengte und sich unter Aufbietung aller Kraft bemühte, mit seinem kurzsichtigen Blicke den nassen Dunst, der sich vor ihm ausbreitete, zu durchdringen. Indessen fiel Herrn Goljadkin nichts Neues und nichts Besonderes in die Augen. Alles schien in gehöriger Ordnung zu sein, d. h. der Schnee fiel noch stärker, noch dichter und in noch größeren Flocken; in einer Entfernung von zwanzig Schritten war nicht das geringste zu sehen; die Laternen klirrten noch schärfer als vorher, und der Wind schien sein trauriges Lied in noch weinerlicherem, kläglicherem Tone zu singen, wie ein zudringlicher Bettler, der um ein Kupferstückchen bittet, um sich zu ernähren. »Ach ja, ach ja! Aber wasist denn mit mir?« wiederholte Herr Goljadkin noch einmal, machte sich von neuem auf den Weg und warf fortwährend flüchtige Blicke rings um sich. Aber unterdessen machte sich in Herrn Goljadkins ganzem Wesen eine neue Empfindung geltend, ein Mittelding zwischen Kummer und Angst... Ein fieberhaftes Zittern lief durch seine Glieder. Es war ein unerträglich peinvoller Augenblick! »Nun, es ist ja nichts Schlimmes,« sagte er, um sich Mut zu machen; »nun, es ist ja nichts Schlimmes; vielleicht ist die Sache überhaupt nicht schlimm, und niemandes Ehre ist befleckt. Vielleicht mußte es so kommen,« fuhr er fort, ohne selbst zu verstehen, was er sagte; »vielleicht wird das alles sich seinerzeit gut gestalten, und es werden gegen niemand Vorwürfe erhoben werden, und alle werden gerechtfertigt dastehen.« Während er so sprach und sich mit Worten das Herz leichter machte, rüttelte Herr Goljadkin sich ein wenig und schüttelte sich die Schneeflocken ab, die ihm in dichter Schicht den Hut, den Kragen, den Mantel, das Halstuch, die Stiefel und alles bedeckten; aber das sonderbare Gefühl, seine seltsame, unklare Schwermut konnte er immer noch nicht loswerden, nicht von sich abschütteln. Irgendwo in der Ferne ertönte ein Kanonenschuß. »Das ist mal ein Wetter!« dachte unser Held. »Horch! Es wird doch keine Überschwemmung geben? Offenbar ist das Wasser sehr stark gestiegen.« Kaum hatte Herr Goljadkin dies gesagt oder gedacht, als er vor sich einen Passanten ihm entgegenkommen sah, der sich wahrscheinlich, ebenso wie er selbst, aus irgendwelchem Anlaß verspätet hatte. Die Sache hätte als etwas ganz Unbedeutendes, Zufälligeserscheinen können; aber aus einem nicht verständlichen Grunde regte sich Herr Goljadkin darüber auf und wurde sogar etwas ängstlich und verwirrt. Nicht eigentlich, daß er sich vor einem schlechten Menschen gefürchtet hätte, sondern vielleicht nur so, ohne rechten Grund ... »Aber wer kennt ihn schließlich, diesen verspäteten Wanderer,« dachte Herr Goljadkin flüchtig; »vielleicht hat er es auch gerade auf mich abgesehen, und ich bin hier die Hauptsache, und er geht nicht zwecklos, sondern hat seine bestimmte Absicht und kreuzt geflissentlich meinen Weg und wird mit mir anbinden.« Vielleicht dachte übrigens Herr Goljadkin das eigentlich nicht, sondern hatte nur für einen Augenblick eine ähnliche, sehr unangenehme Empfindung. Übrigens hatte er zu Gedanken und Empfindungen keine Zeit mehr; der Fußgänger war schon nur noch zwei Schritte von ihm entfernt. Herr Goljadkin

Weitere Kostenlose Bücher