Der Dorfpfarrer (German Edition)
ihn vielleicht keine Reue wiedergutmachen kann. Doch je mehr Demütigungen ich in dieser Welt auf mich nehmen werde, desto weniger werde ich sonder Zweifel den Zorn in dem himmlischen Königreiche, nach welchem ich trachte, zu befürchten haben.
Mein Vater, der so viel Vertrauen in mich setzte, empfahl, es ist bald zwanzig Jahre her, meiner Sorgfalt ein Kind dieser Pfarre, in welchem er das Verlangen, sich gut zu halten, eine Lernbefähigung und ausgezeichnete Eigenschaften erkannt hatte. Dies Kind ist der unglückliche Jean-François Tascheron, der sich seitdem an mich wie an seine Wohltäterin heftete. Wie die Neigung, die ich zu ihm hegte, schuldig wurde, das zu erklären, davon glaube ich Abstand nehmen zu dürfen. Vielleicht würde man die reinsten Gefühle, die uns hinnieden handeln lassen, unmerklich von ihrem Hange abgewendet sehen durch unerhörte Opfer, durch Gründe, die sich aus unserer Gebrechlichkeit ergeben, und durch eine Menge Dinge, welche die Ausdehnung meines Fehls scheinbar vermindern würden. Bin ich darum minder schuldig, weil die edelsten Liebesgefühle meine Mitschuldigen gewesen sind? Lieber will ich gestehen, daß ich, die ich durch Erziehung, durch meine Stellung in der Welt mich dem mir von meinem Vater anvertrauten Kinde, von dem ich mich durch das unserem Geschlechte natürliche Zartgefühl getrennt fand, überlegen halten konnte, unglücklicherweise der Stimme des Dämons gehorcht habe. Bald sah ich mich vielzusehr als die Mutter dieses jungen Mannes, als daß ich seiner stummen und zartfühlenden Bewunderung gegenüber unempfindlich geblieben wäre. Er allein wußte mich als erster nach meinem Werte zu schätzen. Vielleicht bin ich selber durch furchtbare Berechnungen verführt gewesen: ich habe gedacht, wie verschwiegen ein Kind sein würde, das mir alles verdanke, und das der Zufall so fern von mir hingestellt hatte, wiewohl wir durch unsere Geburt gleich waren. Kurz, ich habe in meinem Wohltätigkeitsruf und in meinen frommen Beschäftigungen einen meine Aufführung beschützenden Mantel gefunden. Ach! und das ist sonder Zweifel einer meiner größten Fehler, ich habe meine Leidenschaft im Schatten der Altäre verborgen. Die tugendhaftesten Handlungen, die Liebe, die ich zu meiner Mutter hege, die Akte einer wirklichen und strengen Frömmigkeit inmitten so großer Verirrungen, habe ich alle in den Dienst des elenden Triumphes einer unsinnigen Leidenschaft gestellt, und daraus ergaben sich um so mehr Bande, die mich anketteten. Meine arme angebetete Mutter, die mich hört, ist lange Zeit über, ohne etwas davon zu wissen, die unschuldige Mitschuldige des Uebels gewesen. Als sie die Augen geöffnet hat, gab es zu viele gefährliche Tatsachen, als daß sie in ihrem Mutterherzen nicht die Kraft gesucht hätte, zu schweigen. Bei ihr ist das Schweigen also die höchste der Tugenden geworden. Ihre Liebe zu ihrer Tochter hat über die Liebe zu Gott triumphiert. Ach, ich entlaste sie feierlich von dem drückenden Schleier, den sie getragen hat. Sie wird ihre letzten Tage vollenden, ohne weder ihre Augen noch ihre Stirn zur Lüge erniedrigen zu müssen. Möge ihre Mütterlichkeit rein von Tadel sein, möge ihr von Tugenden gekröntes edles und heiliges Alter in seinem vollen Glanze erstrahlen und möge sie von jenem Ringe, durch den sie mittelbar an so viel Ruchlosigkeit rührte, entlastet sein!«
Hier schnitten Seufzer für einen Augenblick Véroniques Wort ab; Aline ließ sie Riechsalz riechen.
»Es gab keinen bis zu der treuen Dienerin, die mir diesen letzten Dienst erweist, der nicht besser gegen mich gewesen wäre, als ich es verdiente; sie hat mindestens getan, als wisse sie, was sie wußte; aber sie hat um das Geheimnis der Kasteiungen gewußt, durch die ich dies Fleisch, das gefehlt hatte, gebrochen habe. Ich bitte also die Menschen um Verzeihung, daß ich sie, durch die schreckliche Logik der Welt fortgerissen, getäuscht habe. Jean-François Tascheron ist nicht so schuldig gewesen, als die Gesellschaft es hat annehmen können. Ach, ihr alle, die ihr mich hört, ich bitte euch inständigst, rechnet ihm seine Jugend und einen durch Gewissensbisse, die mich gepackt haben, ebensosehr wie durch unfreiwillige Verführungen gereizten Rausch zugute! Mehr noch, Rechtschaffenheit, aber doch eine schlecht verstandene Rechtschaffenheit verursachte das größte aller Unglücke. Weder der eine noch der andere ertrugen wir jene ständigen Täuschungen. Der Unglückliche appellierte an meine
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