Der Dorfpfarrer (German Edition)
ihm ein Zeichen machte. Beide hoben sie sie auf und trugen sie auf das Bett dieses Zimmers. Aline öffnete jäh die Türen. Wie alle Paradebetten, hatte das Bett keine Leintücher; die beiden Aerzte legten Madame Graslin auf die Bettdecke und streckten sie dort aus.
Roubaud öffnete die Fenster, stieß die Läden auf und rief. Die Dienerschaft und die alte Sauviat eilten herbei. Man zündete die gelben Kandelaberkerzen an.
»Das bedeutet,« rief die Sterbende lächelnd, »daß mein Tod sein wird, was er für eine Christenseele sein soll: ein Fest!«
Während der Konsultation sagte sie noch:
»Der Herr Generalprokurator hat nach seinem Berufe gehandelt, ich ging fort, er hat mich vertrieben ...«
Die alte Mutter blickte ihre Tochter an und legte einen Finger auf ihre Lippen.
»Liebe Mutter, ich will sprechen,« antwortete ihr Véronique. »Sehen Sie, Gottes Finger liegt auf allem, ich werde in einem roten Zimmer sterben ...« Entsetzt über dies Wort ging die Sauviat hinaus.
»Aline,« sagte sie, »sie spricht, sie spricht!«
»Ach, Madame hat ihren Verstand verloren,« rief die treue Kammerfrau, die Bettücher brachte. »Suchen Sie den Herrn Pfarrer, Madame.«
»Man muß Ihre Herrin entkleiden,« sagte Bianchon zu der Kammerfrau, als sie hereinkam.
»Das wird sehr schwierig sein; Madame ist einem Büßerhemd aus Roßhaar eingehüllt.«
»Wie, im zwanzigsten Jahrhundert«, rief der berühmte Arzt, »verwendet man noch solche Greueldinge!«
»Madame Graslin hat mir nie erlaubt, ihr Herz zu untersuchen,« sagte Monsieur Roubaud. »Ein Bild von ihrer Krankheit habe ich mir nur nach ihrem Gesichtsausdruck, ihrem Puls und nach den Angaben machen können, die ich von ihrer Mutter und ihrer Kammerfrau erhielt!«
Während man das in den Hintergrund des Zimmers gestellte Paradebett herrichtete, hatte man Véronique auf ein Ruhesofa gelegt. Die Aerzte sprachen mit leiser Stimme. Die Sauviat und Aline bereiteten das Bett. Die Gesichter der beiden Auvergnatinnen waren schrecklich anzusehen. Der Gedanke: »Wir machen ihr zum letzten Male das Bett, sie wird darin sterben«, hatte ihr Herz durchbohrt. Die Konsultation währte nicht lange. Vor allem verlangte Bianchon, daß Aline und die Sauviat aus eigener Machtvollkommenheit trotz der Kranken das härene Büßergewand entzweischnitten und ihr ein Hemd anzögen. Während dies geschah, verließen die beiden Aerzte das Zimmer. Als Aline, dies schreckliche Bußwerkzeug in eine Serviette gehüllt tragend, vorbeiging, sagte sie zu ihnen:
»Madames Körper ist nur eine große Wunde!«
Die beiden Aerzte gingen wieder hinein.
»Ihr Wille ist stärker als der Napoleons, Madame,« sagte Bianchon nach einigen Fragen, die Véronique ganz klar beantwortet hatte, »Sie bewahren Ihren Verstand und Ihre Fähigkeiten in der letzten Krankheitsperiode, wo der Kaiser seine blendende Intelligenz verloren hatte. Nach allem, was ich von Ihnen weiß, muß ich Ihnen die Wahrheit sagen.«
»Das bitte ich Sie mit gefalteten Händen,« sagte sie; »Sie besitzen die Macht, was mir an Kräften bleibt, zu messen; und ich habe all mein Leben für einige Stunden nötig.«
»Denken Sie doch jetzt nur noch an Ihr Seelenheil,« sagte Bianchon.
»Wenn Gott mir die Gnade gewährt, mich ganz sterben zu lassen,« antwortete sie mit einem himmlischen Lächeln, »so glauben Sie, daß diese Gunst dem Ruhme seiner Kirche nützlich ist. Meine Geistesgegenwart habe ich nötig, um einen Gedanken Gottes auszuführen, während Napoleon sein ganzes Schicksal vollendet hatte.«
Erstaunt blickten die beiden Aerzte sich an, als sie solche Worte hörten, die so heiter geäußert wurden, wie wenn Madame Graslin in ihrem Salon gewesen wäre.
»Ach, da kommt der Arzt, der mich heilen wird!« sagte sie, als sie den Erzbischof eintreten sah.
Sie sammelte ihre Kräfte, um sich im Bette aufrecht zu setzen, um Monsieur Bianchon liebenswürdig zu grüßen und ihn zu bitten, etwas anderes wie Geld für die gute Nachricht, die er ihr gegeben hatte, anzunehmen. Sie sagte ihrer Mutter einige Worte ins Ohr, die den Arzt hinausführte. Dann vertröstete sie den Erzbischof, bis zu dem Momente, wo der Pfarrer kommen würde, und bekundete den Wunsch, etwas auszuruhen. Aline wachte bei ihrer Herrin. Um Mitternacht wachte Madame Graslin auf, verlangte nach dem Erzbischof und dem Pfarrer, die ihre Kammerfrau ihr zeigte: sie beteten für sie. Sie machte ein Zeichen, um ihre Mutter und ihre Dienerin hinauszuschicken, und auf ein neues
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