Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
von ihrem Pferd und lag deshalb im Sterben.
So oft dachte Yanko daran, dass sie sterben könnte, dass er beim Abendessen der festen Überzeugung war, er müsse Nica heute Nacht noch sehen, sonst würde er selbst vor Sorge umkommen. Kaum einen Bissen bekam er herunter, obwohl es gutes Fleisch mit frischem Gemüse gab. Seine Mutter fühlte an seiner Stirn, ob er krank würde.
»Mir geht’s gut«, erwiderte Yanko sofort.
Sein sonst so schweigsamer Vater redete die ganze Zeit davon, dass er in den Bergen zwar noch immer keinen Mörder gefunden hatte, jedoch eine ganz neue Kameradschaft mit den Männern, mit denen er auf Streife ging.
Die gegenseitigen Anfeindungen, die nach Ivallyas Beerdigung ausgebrochen waren, hatten sich inzwischen auf die Bauern, Knechte und Mägde dreier kleiner Höfe an der Südmauer konzentriert. Die Stadt hielt zusammen, niemand kaufte dort mehr Milch, Wolle oder Eier. Einige Bürger hatten deren Apfelbäume gefällt, von denen der böse Ben einst gegessen hatte.
»Yirkhenbarg ist ein guter Mann«, sagte Yankos Vater und hob den Becher. »Dass erst ein Fremder kommen muss, um
uns Trollfurter zusammenzuschweißen, hätte ich nie gedacht. Aber der Yirkhenbarg ist einer von uns.«
Yanko und seine Mutter mussten mit ihm auf Yirkhenbargs Gesundheit anstoßen. Geistesgegenwärtig stieß Yanko noch hervor: »Und die seiner Familie.«
»Natürlich! Und die seiner Familie!«, rief Yankos Vater. Und seine Mutter sah Yanko ganz gerührt an. Vermutlich dachte sie, er lerne das mit der Höflichkeit so langsam.
Als seine Eltern Stunden später endlich schliefen, schlich er sich aus dem Haus. Es war beinahe Neumond, er konnte kaum etwas sehen - und er wurde kaum gesehen. Leise kletterte er über den Bretterzaun auf der Rückseite der Schmiede und weiter durch die Hinterhöfe der Nachbarn und schmale Gärten bis hin zu einem der Kanäle. Zwei großen Wachhunden begegnete er auf seinem Weg, doch die kannten ihn von klein auf und bellten nicht. Stattdessen ließen sie sich mit wedelndem Schwanz streicheln, erfreut über die Abwechslung in einer ansonsten stinklangweiligen Nacht.
Auf den Straßen durfte sich Yanko nicht zeigen. Dort patrouillierten zu viele eifrige Hilfsbüttel, die eine von Yirkhenbarg vorgeschlagene und Bürgermeister Odhulan lächelnd abgesegnete Ausgangssperre scharf überwachten. Nur wer einen triftigen Grund oder die schriftliche, besiegelte Erlaubnis des Bürgermeisters vorweisen konnte, wurde von ihnen nicht zum Oberbüttel Gunnadrakh geschleift.
Byasso hatte noch keine Zeit oder nicht den Mut gefunden, das Siegel seines Vaters zu entwenden und sich selbst und Yanko solche Passierscheine zu fälschen. Einen triftigen Grund hatte Yanko nicht; und die viel zu eifrigen Büttel prüften alles nach, egal, wie glaubwürdig man log.
Also schlich Yanko jetzt an diesem Kanal entlang, der hinter Dagwarts Haus vorbeiführte, und immer weiter, bis hinter Yirkhenbargs Anwesen. Er klopfte sich selbst auf die Schulter, dass ihm dieser Weg eingefallen war. Bestimmt war er der erste Junge, der darauf gekommen war, so den Hilfsbütteln zu entgehen.
Und sicher war er auch der erste Junge, der so bei Yirkhenbarg einstieg, dachte er Minuten später, während er seinen Fuß auf einen verzierten Rundbogen setzte, der über dem vergitterten Durchlass einer schmalen Wasserrinne angebracht war. Eine Tür gab es in der hohen Grundstücksmauer nicht.
Yanko krallte die Finger in die Oberkante der Mauer und zog sich hinauf. Kurz verharrte er und schnaufte durch, dann ließ er sich auf der anderen Seite wieder hinab. Das letzte Stück ließ er sich fallen und landete weich im hohen Gras. Als er ein tiefes, zitterndes Schnauben vernahm, fiel ihm siedend heiß Feuerschuppe ein, und er sagte sich, er war wohl auch der erste Junge, der einen Drachen vergessen hatte.
»Ich bin’s nur, Feuerschuppe«, murmelte er und hoffte, der Drache würde ihn wiedererkennen und in Ruhe lassen.
Mit der feuchten Schnauze stupste der Drache Yanko gegen die Brust, und Yanko streichelte ihn und rieb kurz über seine Schulterknubbel. Und dann noch einmal. Ein wenig Glück konnte er jetzt gut gebrauchen. Der Drache brummte zufrieden und trottete neben Yanko her, während er zur Rückseite des Yirkhenbarganwesens hinüberging. Zielstrebig steuerte er auf einen Vorbau zu, dessen Dach auf Höhe des zweiten Stocks einen oben offenen, umzäunten Balkon bildete, der zu Nicas Zimmer gehörte.
»Schtt«, raunte er Feuerschuppe zu und
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