Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
trotz aller Schläge nicht reden. Schließlich kann ich sie nicht foltern, sie ist meine Tochter, Hellwah noch mal!« Yirkhenbarg schlug mit der flachen Hand irgendwo gegen. »Die Hauptsache ist aber doch, dass sie noch Jungfrau ist. Wir können sie dem Drachen ehrenvoll vorsetzen.«
Fast hätte Yanko aufgeschrien. Was sollte das alles? Wieso wollte Yirkhenbarg seine Tochter dem Drachen vorsetzen? Ein Opfer wofür?
Yanko hatte immer gedacht, befreite Drachen wie Feuerschuppe fraßen keine Menschen. Nur geflügelte. Doch Feuerschuppe
war der einzige Drache hier in der Gegend. Und wieso wollte er den Drachen in der Mine füttern? War das ein Ritual, um das Blausilber wieder wachsen zu lassen? Was waren das für Eltern?
All diese Fragen kreisten in seinem Kopf, und ihm wollte keine Antwort einfallen. Er konnte nicht klar denken. Er wusste nur, dass Nica nicht sterben durfte. Wilde Wut kochte in ihm hoch, nur mühsam konnte er sich zur Ruhe zwingen.
»Wird sie leiden?« Nicas Mutter sprach nun ganz leise, Yanko konnte sie kaum verstehen.
»Ich weiß es nicht. Aber er ist der König der Drachen, es wird schnell gehen. Er kann sie im Ganzen schlucken. Und ihr Opfer wird sie unsterblich machen. Noch in Generationen wird man von ihr singen.«
Sie seufzte. »Ich hatte nur gehofft zu sehen, wie sie alt wird.«
»Wir haben zwei prächtige Jungen«, sagte Yirkhenbarg mit rauer Stimme, »die gute Ritter und später einmal gute Herrscher werden. Sie werden in Freiheit aufwachsen können, das darfst du nie vergessen. Dafür lohnt es sich, ein Opfer zu bringen.«
Das sagte sich leicht, wenn man nicht selbst das Opfer ist , dachte Yanko zornig. Noch immer wurde er aus dem ganzen Gerede nicht schlau. Welcher König? Feuerschuppe konnte Nica jedenfalls nicht im Ganzen herunterschlingen.
»Ja«, sagte Nicas Mutter. »Verzeih meine Selbstsucht. Ich werde beten, dass sie nicht leiden muss.«
»Mach das. Und ich muss jetzt wirklich gehen. Der Drache regt sich. Wir müssen ihm die Flügel abnehmen, bevor er endgültig erwacht. Nicht zu früh und nicht zu spät. Sonst
mögen uns die Götter gnädig sein. Dann steht das Ende der Welt bevor.«
Das Ende der Welt? Das wurde jetzt wirklich zu viel. Dieser Yirkhenbarg war doch vollkommen irre! Und überall in der Stadt patrouillierten seine Arbeiter als sogenannte Hilfsbüttel; sie waren zahlreicher als die alten Büttel. Yirkhenbarg hatte Trollfurt in der Hand, überall wurde er respektiert, von vielen verehrt. Drachenreiter, neuer Minenbesitzer und hochgejubelter Retter der Stadt. Niemand würde auf Yanko hören, kein Büttel würde ihm glauben, dass Yirkhenbarg gerade seine Tochter opferte. Sie würden auf die Ausgangssperre verweisen und ihn einfach heimschleifen, wo sein Vater ihn verprügeln würde, weil er sich für seinen Sohn schämen musste, und weil er es hasste, aus dem Schlaf gerissen zu werden. Yanko würde bei den Bütteln keine Hilfe erhalten. Nirgendwo.
Aber wie sollte er allein Yirkhenbarg und einen Drachen aufhalten?
Er wusste es nicht, doch er musste es versuchen.
Unten schlug die Haustür zu, und Yanko hörte, wie im Garten nach Feuerschuppe gerufen wurde. Lautlos hastete er auf den Balkon und blickte nach unten. Der Drache war verschwunden. Eilig kletterte Yanko an den Weinranken hinunter, ohne sich groß um Kratzer zu kümmern. Abgebrochene Äste stachen in seine Handflächen und rissen ihm Striemen ins Gesicht und Löcher in Hemd und Hose. Es war egal, nur Lärm durfte er keinen machen. Und auf keinen Fall durfte er Zeit verlieren! Sehen konnte man ihn von vorne, wo Yirkhenbarg das Haus verlassen hatte und immer zwei zu Hilfsbütteln ernannte Knechte Wache hielten, nicht. Yanko sprang das letzte Stück zu Boden, rollte sich ab und raste zur rückwärtigen Mauer, die an den Kanal grenzte. Auch auf der Innenseite
fand er den Zierbogen, den er als Tritt benutzte, um sich hinaufzuziehen. Während er sich über die Mauerkrone wälzte, bemerkte er zwei Gestalten, die sich mit Prügeln in der Hand an den Vorbau heranpirschten. Waren das die wachhabenden Knechte? Es war zu dunkel, um sie zu erkennen, doch wer sollte es sonst sein?
Auch oben auf Nicas Balkon tauchte eine Gestalt auf. Er hatte es gerade noch geschafft. Schnell glitt er von der Mauer und rannte davon. Die drei würden den Garten nach ihm durchkämmen und sich dann in der Umgebung umschauen.
Während er am Kanal entlangstürmte, fragte er sich, woher sie von ihm gewusst hatten. Zielgerichtet hatten sie
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