Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
weiter wachsen.
Ben und Aiphyron ließen ihn schimpfen und erzählen, wo er herkam, was er erlebt hatte, wie er erwischt worden war und noch mehr. Dabei keimte in Ben jedoch der Verdacht auf, dass Jurbenmakk nicht nur seiner Verärgerung Luft machte, sondern dass er von Natur aus ein ziemliches Plappermaul war.
Irgendwann wurde es Ben einfach zu viel, und er hörte nicht mehr zu. Obwohl Aiphyron über das Gespräch der Stadtwächter gelacht hatte, hatte Ben immer wieder an einen riesigen flügellosen Drachen denken müssen, der mit blinder Zerstörungswut über Häuser und schreiende Menschen hinwegstapfte. Der auf Befehl eines bösen Ritters in schwarzer Rüstung alles in seinem Weg niedertrampelte und zahlreiche Menschen verschlang, ohne zu kauen. Immer wieder verschwand Nica in seinem Rachen, ohne dass Ben es verhindern
konnte. Manchmal auch Anula. Ben versuchte sich das Gesicht des verurteilten Ketzers in Erinnerung zu rufen und fragte sich, ob dieser Mann mit der Wahrheit gedroht oder gelogen hatte. Natürlich sah man keinem Menschen an, ob er ein Lügner war, aber Ben wollte sich einfach irgendwie Gewissheit erzwingen. Doch vergeblich, die Erinnerung an das ausdruckslose, zerschundene Gesicht des Ketzers verriet ihm nichts.
Während Jurbenmakk redete und redete, massierte Ben weiter dessen Flügelstumpen und starrte grübelnd auf die dunkelgrauen, verwitterten Mauersteine der Ruine. So nah an Falcenzca hatte dieses Gebäude gestanden, und es wirkte doch ganz anders als die bunten, verzierten Gebäude der Stadt. Es erinnerte Ben an den alten, ebenfalls verlassenen Raubritterturm vor Trollfurt.
Und plötzlich fiel ihm wieder ein, wo er die Tätowierung des Ketzers, den gewundenen grünen Drachen, schon einmal gesehen hatte. Vor Überraschung hielt er mit einem Mal die Hände ruhig. Doch je länger er nachdachte, desto sicherer wurde er. Der Arbeiter, der mit Yirkhenbarg in die Mine gegangen war und der für einen einfachen Arbeiter viel zu stolz gewirkt hatte, hatte genau die gleiche Tätowierung auf dem Oberarm getragen. In Trollfurt selbst war diese immer von seinem langen Ärmel verdeckt gewesen, nur Ben hatte ihn oben an der Mine ohne Hemd gesehen. Wie alle anständigen Menschen trugen sämtliche Arbeiter Yirkhenbargs lange Ärmel. Waren sie am Ende alle tätowiert? Zumindest Yirkhenbarg wusste von dem grünen Drachen des einen, er musste ihn gesehen haben.
Bens Gedanken sprangen durcheinander. Solange er in der Stadt gewesen war, hatten Yirkhenbargs Leute nicht einen Brocken
Blausilber gefördert. Und sie hatten niemanden in die Mine gelassen. Was hatte ein Drachenketzer dort verloren?
»Aiphyron«, sagte Ben mit schwerer Stimme und unterbrach Jurbenmakks Redefluss. Vielleicht bildete er sich irgendwelche Verrücktheiten ein, nur weil er einen Grund finden wollte, nach Trollfurt zurückzukehren. Zu Nica. Doch das ungute Gefühl, das ihn plötzlich gepackt hatte, war echt. Ihm war beinahe schlecht, es ging nicht nur um Nica. Es ging darum, dass sie in Gefahr schweben könnte, so wie ganz Trollfurt und damit auch Yanko.
»Sag mal, Aiphyron, wie lange wächst ein Drache heran? Ich meine, im Baum oder in der Erde?«
Jurbenmakk starrte überrascht zu Ben, aber er schwieg.
Aiphyron grinste den anderen Drachen an und antwortete: »Lange, zumindest länger als ein Mensch. Das kann Jahre dauern, vielleicht Jahrzehnte. Es hängt von der Größe des Drachen ab und von dem Ort, der ihn gebiert. In einem Baum geht es vergleichsweise schnell, Holz ist weich und lebendig; in Lehm oder Sand dauert es länger, und im harten Fels dürfte allein die abschließende Schuppenschicht ein paar Jahre zum Wachsen brauchen. Zumindest bei einem Drachen von meiner Größe.«
»Und wenn der Drache größer ist?«, fragte Ben stockend.
»Dann dauert es länger. Doch welcher Drache sollte...?« Aiphyron blickte ihn scharf an. »Du machst dir doch nicht immer noch Gedanken über diesen angeblichen König der Drachen?«
»Doch«, sagte Ben mit dünner Stimme. Es klang alles so unsinnig, und doch passte es. Zufällig gleiche Tätowierungen. Arbeiter, die wie Krieger aussahen. Eine Mine, die nach Jahren wieder in Betrieb genommen wurde, obwohl sie nicht
mehr ergiebig sein sollte, in der auch nichts gefördert wurde. Deren Eingang auf der Rückseite des schönsten Berghangs lag, den Ben kannte, so zauberhaft schön, dass Ben beim Klettern dort die Füße stets ganz ehrfürchtig aufgesetzt hatte. Und über deren Schließung zehn
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