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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
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keine Bewegung. Nichts geschieht. Irgendetwas muss doch geschehen.
    Auf der Age of Reason führte eine Gangway nach vorne zum verrosteten und an diesem Abend mit einer dünnen Schicht matschigen Eises überzogenen Backdeck. Das Schlauchboot war dort weit unten. Wir frieren. Im Boot ist es noch kälter gewesen. Wir haben jeder einen GPS -Sender am Handgelenk und hoffen, der Kreuzfahrer wird seine Position nicht überraschend verändern. Lichter jedenfalls sehen wir keine vor uns. Christa ist an mich gedrückt, Joshua ist in Gedanken versunken, und Pedro, der das Boot steuert, sitzt unsichtbar hinter uns, wo die Motoren brummen wie alte, defekte Kühlschränke. Eine halbe Stunde Kälte und Nacht, eine halbe Stunde allein mit der Antarktis, die in unseren Köpfen nahe, doch in Wahrheit über tausend Meilen entfernt ist. Eine halbe Stunde wie diese hier, bevor die weiße Wand des Kreuzfahrers vor uns auftaucht und seine Lichter uns beinahe blenden. Auf der Rückfahrt dann schüttelt es uns vor Kälte und vor Freude, darunter eine Menge Angst. Angst, ob wir die Age of Reason auch wiederfinden und erreichen werden mit dem begrenzten Treibstoff der Motoren, in der zwei Meter hohen Dünung und den beginnenden Gischtrücken der Wellen; der Wind hat aufgefrischt.
    Ohne Regung liege ich im Gras, bis ich einen Schatten sehe, der sich auf das Haus zubewegt. Ich bin sicher, dass der andere schon vorher gegangen ist, und mache mich bereit, meine Stellung aufzugeben. Als ich ein paar Meter aus meinem Versteck gekrochen und soeben im Begriff bin, mich aufzurichten, steigen vor mir zwei breite Männer aus dem Wald. Kalter Schweiß beginnt mir über den Rücken zu perlen.
    Man spricht. Einer sagt: »Der is weg. Wir nehmen uns die Straße vor. Niko und seine Leute haben Posten bezogen. Den kriegn mir schon.«
    Â»Welche Karre?«, fragt der andere.
    Â»Lexus, perlweiß «, antwortet der eine und lacht.
    Â»Hahaha«, auch der andere. »So a bunter Hund.«
    Ich knie da, ein Holzstück, steif, ohne Atem. Die Stimmen entfernen sich. Und es gibt ein ganzes Rudel von diesen Typen, Bayern offenbar, die auch noch meinen Wagen kennen. Rehauge muss mich auf dem Parkplatz vor dem Max-Planck-Institut beobachtet haben. Meine österreichische Nummer hat sie nicht gesehen.
    Ich verharre noch einige Minuten in meiner unbequemen Stellung. Dann krieche ich hinauf zum Weg und gehe zurück zum Hirschen. Im Hirschen laufe ich auf mein Zimmer, entledige mich meiner grasfleckigen Klamotten, kleide mich neu an und packe. Ich zahle einer überraschten Wirtin das Zimmer und laufe hinaus zum Wagen. Ich starte den Motor, lasse die Scheinwerfer jedoch dunkel, stelle die Innenraumbeleuchtung kurz an und werfe einen Blick auf die Karte. Ich besitze kein Navigationsgerät. Ein eiserner Grundsatz für jemanden, der kein Interesse daran hat, die Orientierungsareale in seinem Neocortex für alle Zeiten stillzulegen. Und wenn es darauf ankommt, heute Nacht beispielsweise, ist so ein dämliches, sprechendes Ding ohnehin nutzlos. Ich schalte mein Mobiltelefon ab, um nicht geortet werden zu können. Langsam fahre ich aus dem Parkplatz hinaus zur Fischbacher Hauptstraße. Es ist eine einsame Straße, hingestreckt zwischen Wiesenhängen. Ein paar Häuser stehen hier nur. Auf einer kleinen Kuppe befindet sich eine Kapelle.
    Alle vier von hier weiterführenden Straßen muss ich meiden: die Straße, die hinauf Richtung Freiburg oder hinab an den Rhein läuft, die Straße nach Grafenhausen, jene nach Lenzkirch, und schließlich die Straße nach Bonndorf, welche hinter Maettgens Villa vorbeiläuft. Überall dort kann man jemanden postiert haben. Da wird Aufwand betrieben. Hätte ja nur gerne gewusst, wofür.
    Jedes Jahr verbringt Christian ein paar Monate in Indien, wo er in halb vergessenen Tempelbibliotheken oder den Privatbibliotheken von Pandits hockt, in denen Tausende alter Manuskripte lagern, zwischen Fledermausdreck und weißen Ameisen. Manuskripte, von denen niemand etwas weiß. Schon als Student hat Christian sich in Indien herumgetrieben, und diese Neigung hat er zur beruflichen Spezialität gemacht. Angefangen hat es mit einer Handschrift in schlechtem Sanskrit, die es erlaubt, die verloren geglaubte antike Denkschule der indischen Materialisten zu rekonstruieren. Damit hat Christian sich Dissertation und Habilitation verdient und ist süchtig geworden

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