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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
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nach mehr. Mittlerweile besitzt er einen weltweiten Ruf in der Gemeinde der Indologen und Asienhistoriker. Kurz vor der Heirat mit Maggie hat er einen zuvor völlig unbekannten, anatomischen Text aus dem frühen Mittelalter entdeckt, das Pindavivaranasutra . Das für wenige Rupien erstandene Originalmanuskript hat er Maggie zum Geschenk gemacht. Mit diesem Text hat Christian begonnen, sich ganz auf die altindische Medizin, den Ayurveda, zu spezialisieren. Und er sucht gezielt Manuskripte zu diesem Gebiet. Es muss da in den letzten Monaten etwas gegeben haben, das es rechtfertigt, eine Zeitlang abzutauchen und niemandem ein Sterbenswörtchen zu sagen. Ich klammere mich an diesen Gedanken, bloß damit ich nicht völlig in einem Meer von Sätzen versinke, die alle mit vielleicht und möglicherweise beginnen.
    Ich lasse meinen Wagen die Hauptstraße hinunterrollen und nehme schließlich eine kleine Straße, welche steil hinauf zu einem winzigen Weiler namens Hinterhäuser führt. Bei der ersten Gelegenheit biege ich links in ein weiteres kleines Asphaltsträßchen, das durch dunkle, hohe Fichtenbestände führt, auf die nun Regen einzuprasseln beginnt. Ich fahre mit nicht mehr als zwanzig Kilometern die Stunde in Richtung Norden und lasse hin und wieder die Scheinwerfer aufblitzen. Irgendwo wird sich hier doch ein Plätzchen für die Nacht finden lassen. Am Morgen ist der Testosteronspiegel dieser Typen bestimmt wieder auf Normalniveau.
    Der Regen nimmt an Heftigkeit zu. Ich entscheide mich für einen engen, grasbewachsenen Fahrweg, der auch bei Tageslicht kaum einsehbar sein kann. Ihn zuckle ich zweihundert Meter weit entlang, stelle den Motor ab und steige aus dem Wagen. Es riecht nach Harz. Ich lege die hinteren Sitze um und räume mein Gepäck nach vorne. Dann nehme ich meine Decke, ziehe mir einen Pullover über und benutze Decke und Jacke als wärmende Schichten. Ich öffne das Fenster einen kleinen Spalt weit. Der Schlaf kommt nicht. Es ist eng, meine Nerven vibrieren. Und der Regen trommelt ein Dauerfeuer auf das Autodach.
    Gegen zwei Uhr schlafe ich erschöpft ein und erwache kurz vor sieben. Der Regen hat aufgehört. Eine weißflüssige Metallkugel liegt dort, wo gestern noch mein linkes Auge gewesen ist. Ich träufle die Cortisonlösung in beide Augen und nehme wieder ein Schmerzmittel. Eine ganze Stunde bleibe ich noch im Wagen liegen.
    Schließlich springe ich mit einem Satz auf; ich stelle die Sitze wieder zurück, fahre hinaus auf die Straße, nehme jetzt aber nicht die Richtung direkt hinab zum Rhein, sondern wähle eine Strecke, die mir weniger vorhersehbar erscheint.
    Gegen Mittag passiere ich Lindau. In Bayern herrscht Föhn. Die Luft ist aus Glas. Ich spüre keine Angst. Ich habe eine Aufgabe. Maggie und Christian (vielleicht wird er gegen seinen Willen festgehalten, dieser Gedanke quält mich an diesem Morgen) zermalmen jede mögliche Furcht.

II
    NEBEN RENAISSANCEMALEREI hat Maggie, deren Wohnung vollgehängt ist mit wertvollen Drucken und mit Originalskizzen von Caravaggio, van Eyck, Raffael und Holbein, noch einer anderen Leidenschaft gefrönt: der italienischen Küche. Für eine Britin das höchste erreichbare kulinarische Gut und darüber hinaus Teil eines privaten Feldzuges gegen ihren Vater, der Italien ebenso leidenschaftlich verachtet. Bei einem Abbacchio brodettato , einem Lamm in Zitronensauce, extra für mich zubereitet, und ein paar Gläsern unpassenden tawny- Portweins schüttelt Maggie ihr schönes blondes Haar und hört nicht mehr auf, über Christian herzuziehen. Die Scheidung liegt zwei Monate zurück. »Der Mann macht dich verrückt«, sagt sie. » How I abhor this calvin-infestet megalomanic!«
    Ich lasse bereits Salzburg rechts liegen und fahre weiter nach Osten. Und dann dieser Ausflug an den Gardasee. Nur widerwillig habe ich mich einverstanden erklärt, die beiden zu begleiten, ich bin wohl als Waffenstillstandszone mitgenommen worden. Und es wird das einzige Wochenende, das ich je mit Maggie außerhalb Wiens verbringe. Es ist kühl und windig in San Felice del Benaco, es ist der April vor zwei Jahren. Am zweiten Abend im Restaurant bricht unerwartet der Frieden. Plötzlich stehen da mehrere Flaschen Lambrusco (man servierte keinen Portwein), alle leer, auf unserem Tisch herum und wir nähern uns bedenklichen Zuständen von Trunkenheit, Offenheit und

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