Der dritte Berg
in den kleinen Hafen von Padangbai auf Bali einläuft, machen Joshua-the-Canadian und ich uns mit einem Mietwagen auf den Weg zum Gunung Agung, dem groÃen Vulkan dieser Insel. Nach drei Wochen an Bord müssen wir uns irgendwo die FüÃe vertreten. Wir haben ein wenig Kletterausrüstung mitgenommen und steigen um Mitternacht mithilfe von Taschenlampen den über dreitausend Meter hohen Berg hinauf. Durch Wälder zuerst, oben gibt es nur Lavahalden. Der Sonnenaufgang auf dem Grat über dem Krater ist berühmt und unser Wetter ist fast klar. Den ganzen Morgen klettern wir mit Seilen in den Krater hinunter, was wegen des brüchigen Lavagesteins halsbrecherisch ist. Wir zerschneiden uns Hände, Knie und Schultern an den messerscharfen Steinkanten, und als wir wieder am Kraterrand ankommen, schon alarmiert von den wenigen hakenförmigen Cirruswolken zuvor, glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Der gewaltigste aller Cumulonimbi, den ich je gesehen habe, kriecht auf uns zu. Er steht noch über dem Meer in Richtung der Nachbarinsel Lombok. Es handelt sich um eine einzelne Gewitterzelle, der Amboss mag achtzehn Kilometer hoch sein und flacht sich oben derart in die Breite, dabei ausfransend, dass er dort vierzig Kilometer messen kann. Wir überlegen, Joshua will schnell den Grat hinüber und die schutzlose Halde hinabgehen. Aber bevor wir uns auf den Weg machen können, wird es schon ungemütlich. Sturmböen, dann erste Blitze. Wir klettern auf dem schnellsten Weg wieder in den Krater und verkrümeln uns hinter einen Ãberhang, keilen uns dort gut ein und lassen die Ausrüstung in ein paar Metern Entfernung von uns baumeln, damit die Blitze uns nicht über die Karabiner und andere Metallteile erwischen. Fast zwei Stunden lang kleben wir so in der Lavawand. Die Blitze krachen in den Krater, dass man glaubt, er begänne zu kochen, und der Donner hallt an den Lavahängen, als habe man ein ganzes Bataillon Artillerie auf uns losgelassen. Es wird dunkel wie in der Nacht. Steinbrocken fliegen um uns. Es ist der höllischste Nachmittag meines Lebens. Beim raschen Abstieg holen wir uns noch saure Oberschenkel, denn der Weg ist sehr steil, immer wieder rutscht man auf dem Geröll aus, und als wir spätnachts unten ankommen, können Joshua und ich kaum noch gehen.
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DIE BIBLIOTHEK BESTEHT IMMER NOCH aus einfachen, schmutziggrünen Metallregalen, die man in Reihen hintereinandergestellt hat. Dazwischen Arbeitstische mit Bildschirmen. Vor mir läuft Max Müllers grün gebundene Ausgabe der Books of the East , darüber eine Reihe Puranas auf Sanskrit in rotleinenen Einbänden, weiter hinten die berühmten Charaka- und Sushruta-Samhitas mit einem umfangreichen Apparat alter medizinischer Kommentare, und an der Wand eine sich bis zur Decke türmende, langgezogene Abteilung für gebundene Zeitschriften.
Ich gehe die paar Stufen hinauf in das eigentliche Institut. DrauÃen ist es mitten am Tag fast dunkel geworden, es regnet heftig. Donner lassen die Fensterscheiben vibrieren. Vorüber an den Zimmern von Herwig, Sophia und Jim, deren Nachnamen ich nicht mehr zu nennen wüsste, wären da nicht Türschilder in die Wand geschraubt: Univ.-Doz. Dr. Herwig Wanderer, Mag. Sophia Tanzner, Sekretariat, Ass.-Prof. Dr. James Dalt. Es riecht schwer nach alten Büchern. Christian hält die Truppe sonst auf Trab, vögelt mittags Sophia und ruft einmal die Woche zu einem faszinierenden Jour fixe. Faszinierend jedenfalls finden diese Versammlung alle, mit denen ich jemals darüber gesprochen habe. Aber der Meister ist nicht da, und der Dämmerzustand mürbe werdender Foliobände legt sich wie Staub auf die Atmosphäre dieser Räume.
Das Wiener Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde heiÃt noch Institut für Indologie , es ist noch keine Liaison mit den tibetischen Fächern eingegangen, als ich eines Tages, auf der Suche nach einer Gesamtausgabe von Swami Vivekanandas Werken, fast in die Arme eines Mannes laufe, dessen Hakennase plötzlich vor meinen Augen steht. »Ich nehme an, ich kann Ihnen helfen, Herr Rai«, sagt er. Jemand musste Christian, zu jener Zeit noch einfacher Dozent, hergeschickt haben, um mir unter die Arme zu greifen. Christians erster an mich gerichteter Satz war eine Frage, formuliert als Feststellung. Ich wusste damals noch nicht, dass sein ganzes Leben bloà aus Affirmationen
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