Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
Vom Netzwerk:
Böse meiden, auch wenn es unter dem Deckmantel aller möglichen Grundsätze auftaucht, dachte er. Man muß sich immer wieder vor Augen halten, daß die Verzweiflung der wahre Feind ist. Ein Feind, dem man nichts nachgeben, geschweige denn, sich ihm unterwerfen darf. Der junge Joeser und seine Zeitgenossen, die nach uns in Jerusalem leben werden – gemäßigte, vernünftige Menschen, die ein verständig ausgewogenes Leben führen –, müssen sich doch eines Tages über die Leiden wundern, die wir uns hier selber aufgeladen haben. Aber sie können unserer wenigstens nicht verächtlich gedenken: Wir haben nicht kampflos aufgegeben. Haben so gut wir konnten in Jerusalem standgehalten, und das gegen zahlenmäßig weit überlegene und unendlich stärkere Kräfte. Man hat uns nicht mit Leichtigkeit besiegt. Und wenn wir zum Schluß auch unterlegen sind, bleibt uns doch noch der Vorzug des »denkenden Schilfrohrs«, von dem Blaise Pascal spricht.
    Und so – begeistert und durchgeweht, die Schuhe schlammverschmiert, einen Chrysanthemenstrauß an die Brust gedrückt und vor Kälte am ganzen Leib zitternd – klingelte er morgens um Viertel nach zehn an Teds und Jaels Wohnungstür. Als Jael ihm in grauen Kordhosen und einem weinroten Pullover öffnete, sagte er ohne Hemmungen: »Ich bin zufällig hier vorbeigekommen und wollte nur für einen Moment reinschauen, Schabbat Schalom sagen. Ich hoffe, ich störe nicht? Soll ich statt dessen lieber morgen kommen? Nächste Woche wird bei mir gestrichen. Egal. Ich hab’ dir Blumen zum Schabbat gebracht. Darf ich auf ein, zwei Minuten reinkommen?«

28.
In Ithaka, am Meeresstrand
    »Gut«, sagte Jael, »komm rein. Nur denk dran, daß ich bald gehen muß. Wart einen Moment. Laß dir das Hemd zuknöpfen. Sag mal, wann hast du das zum letztenmal gewechselt?«
    »Wir beide müssen ein bißchen miteinander reden«, sagte Fima.
    »Schon wieder reden«, meinte Jael.
    Er folgte ihr in die Küche. Unterwegs hielt er kurz inne und lugte ins Schlafzimmer: Unwillkürlich hoffte er, sich dort seit vorgestern nacht noch immer in den Laken schlafen zu sehen. Aber das Bett war gemacht und mit einer wolligen, dunkelblauen Tagesdecke abgedeckt, zu beiden Seiten einheitliche Leselampen und Nachtschränke, auf denen je ein einzelnes Buch ruhte, und daneben, wie im Hotel, jeweils ein Glas Wasser nebst Schreibblock und Kugelschreiber. Sogar zwei gleiche Wecker standen auf den Schränkchen.
    »Dimmi ist in keinem guten Zustand«, sagte Fima. »Wir dürfen nicht weiter so tun, als leide er überhaupt nicht. Diese Blumen stellst du wohl lieber bald ins Wasser, die sind für dich, zum Schabbat. Hab’ ich so einem Siedler abgekauft. Außerdem hast du doch Ende Februar irgendwann Geburtstag oder schon gehabt. Machst du mir einen Kaffee? Ich bin eben von Kiriat Jovel bis hierher zu Fuß gelaufen und halb erfroren. Um fünf Uhr morgens hat der Nachbar versucht, seine Frau zu ermorden, und ich bin raufgerannt, um eventuell zu helfen, und hab’ dann ziemlich idiotisch dagestanden. Egal. Ich bin gekommen, um mit dir über Dimmi zu reden. Vorgestern, als ihr weggefahren seid und ich auf ihn aufgepaßt habe –«
    »Schau, Efraim«, unterbrach ihn Jael, »warum mußt du jedem das Leben schwermachen. Ich weiß, daß es Dimmi nicht gutgeht. Oder daß wir nicht gut zu ihm sind. Da erzählst du mir nichts Neues. Auch du machst nicht alles gut und richtig.«
    Fima begriff also, daß er sich verabschieden und davonmachen mußte. Trotzdem setzte er sich auf den niedrigen Küchenschemel, blickte Jael mit treuherzigem Hundeblick von unten herauf an, blinzelte mit den braunen Augen und begann ihr zu erklären, es gehe um ein unglückliches, geradezu gefährlich einsames Kind. Als er vorgestern abend auf den Jungen aufgepaßt habe, sei etwas herausgekommen – Einzelheiten täten hier nichts zur Sache –, aber er habe den Eindruck gewonnen, das Kind, wie solle er sagen, brauche womöglich Hilfe?
    Jael setzte den Kessel auf. Rührte Pulverkaffee in zwei Gläsern an. Fima meinte, sie reiße dabei zu viele Schranktüren und Schubladen auf, die sie dann wieder heftig zuknallte.
    »Gut«, sagte sie. »Großartig. Du bist also gekommen, um mir einen Vortrag über Erziehungsprobleme zu halten. Teddy hat einen Freund, Kinderpsychologe aus Südafrika, mit dem wir uns ein wenig beraten. Und du hör mal endlich auf, dauernd Sorgen und Nöte zu suchen. Hör auf, allen zuzusetzen.«
    Da Jael Südafrika erwähnt hatte, konnte Fima nur mit

Weitere Kostenlose Bücher