Der dritte Zustand
werden falsch gesetzt. Wie schade beispielsweise um den fleißigen Zwi Kropotkin, der jetzt schon drei Jahre Einzelheiten über die Einstellung der katholischen Kirche zu den Entdeckungsreisen Magellans und Kolumbus’ zusammenträgt – wie jemand, der die Knöpfe eines längst zerschlissenen Kleidungsstücks nachnäht. Oder um Uri Gefen, der von einer Geliebten zur nächsten rennt, wach wie der Teufel, während sein Herz doch schläft.
Damit beschloß Fima sein tatenloses Rumstehen am Fenster aufzugeben. Lieber anzufangen, die Wohnung für das Eintreffen der Anstreicher nächste Woche vorzubereiten. Man mußte die Bilder von den Wänden nehmen. Auch die Landkarte, auf der er einmal mit dem Bleistift vernünftige Kompromißgrenzen eingezeichnet hatte. Mußte alle Möbel in der Zimmermitte zusammenrücken und sie mit Plastikplanen abdecken. Die Bücher im Bettkasten verstauen. Alle Küchenutensilien in die Schränke stellen. Warum bei dieser Gelegenheit nicht auch gleich Berge von alten Zeitungen, Zeitschriften, Heften und Flugblättern aus dem Haus schaffen? Die Regale mußten abgebaut werden, wobei man Uri zu Hilfe rufen sollte, der wohl heute abend zurückkam. Oder morgen? Übermorgen? Wird Nina ihm detailliert berichten, wie sie wieder und wieder versucht hat, mir die regelmäßige Behandlung zukommen zu lassen, aber den Hahn verstopft fand? Zum Geschirreinordnen könnte man eventuell Schula Kropotkin mobilisieren. Vielleicht würden auch Annette und Tamar gern mithelfen. Und das Ehepaar Pisanti hat ja ebenfalls Hilfe angeboten, wenn sie sich vorher nicht gegenseitig umbringen. Auch Teddy kommt sicher gern, die Vorhänge und Wandlampen abnehmen. Vielleicht bringt er Dimmi mit. Der Alte hat doch recht gehabt: Über zwanzig Jahre ist dieses Loch nicht renoviert worden. Die Decke ist rußgeschwärzt vom Rauch des Petroleumofens.Spinnweben in allen Ecken und Winkeln. Im Badezimmer hat sich Feuchtigkeit ausgebreitet. Die Kacheln bröckeln. Der Kalk blättert ab. An manchen Wandstellen blüht der Schimmel. Sommer wie Winter weht hier der muffige Schweißgeruch eines ältlichen Junggesellen. Nicht nur der verlassene Flausensack auf dem Balkon stinkt übel. Und du hast dich so daran gewöhnt, daß es dir nichts mehr ausmacht. Eigentlich ist doch die Gewöhnung die Wurzel allen Übels. Genau diese Gewöhnung hat Pascal offenbar gemeint, als er vom Tod der Seele schrieb.
Auf dem Schreibtisch fand Fima ein grünes Reklameblatt, das eine Reihe Sonderangebote im Supermarkt des Viertels verhieß. Auf eine Ecke dieses Blattes kritzelte er die Worte:
Gewöhnung ist der Beginn des Todes. Die Gewohnheiten sind die fünfte Kolonne.
Und darunter:
Üblich – trüglich.
Schwindel – Schwund – auf dem Hund.
Damit wollte er sich selbst daran erinnern, diese Gedanken im Verlauf des Schabbat zu verarbeiten und fortzuentwickeln. Und weil er darauf kam, daß morgen Samstag sein würde, begriff er, daß heute Freitag war, woraus er wiederum schloß, daß er ein bißchen was einkaufen mußte. Aber Freitag hatte er ja arbeitsfrei, die Praxis war geschlossen – warum sollte er sich also beeilen? Warum schon morgens früh um sieben Möbel rücken? Damit wartete man besser, bis Verstärkung eintraf. Es brannte ja nichts an. Aber als er auf die Uhr schaute, sah er, daß es nicht sieben, sondern zwanzig nach acht war. Jetzt konnte man schon ein paar Worte mit Zwicka wechseln, der inzwischen sicher sein Rasierritual abgeschlossen hatte.
Ob sich der Zustand des Telefons unterdessen wohl weiter gebessert hatte? Fima versuchte es erneut, hörte auch beinah ein leichtes Knistern, aber dieser Laut erstarkte noch nicht zu einem Wählton. Trotzdem drehte er Jaels Nummer. Gelangte jedoch zu dem Schluß, daß er die vollständige Genesung des Apparats abwarten mußte und daß seine ungeduldigen Versuche diesen Prozeß womöglich behinderten. Oder lag etwa auch bei Jael eine Störung vor? In der ganzen Stadt? Streik? Sabotage? Sanktionen? Vielleicht war in der Nacht die Telefonzentrale gesprengt worden? Eine extreme Untergrundorganisation hatte in einer Blitzaktion sämtliche Kommunikationssysteme und die übrigen Schaltzentren der Macht unter ihreKontrolle gebracht? Syrische Raketen waren niedergegangen? Es sei denn, Ted Tobias lehnte wieder mit vollem Gewicht über dem Apparat und ließ Jael nicht den Hörer abnehmen. Verachtung stieg in Fima auf – nicht auf Ted, sondern auf seine eigenen Wortspiele. Er knüllte die Supermarktreklame, an
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