Der dritte Zustand
abgerungen, in dem er ihr gestand, wie sehr er sie liebte. Beim Wiederlesen verwarf er diesen Brief, zerriß ihn, schmiß die Fetzen ins Klosett und zog die Spülung, denn wer konnte Liebe in Worte fassen, und wenn sie sich schon verbal ausdrücken ließ, war das doch ein Zeichen, daß sie verflogen war. Oder zumindest dabei, sich auf und davon zu machen. Zum Schluß riß er ein Blatt aus einem Rechenheft und kritzelte darauf: »Ich kann nicht aufhören, Dich zu lieben, weil das nicht von mir abhängt, aber Du bist natürlich frei. Was bin ich bloß blind gewesen. Wenn es hier im Haus was gibt, das Du brauchst, schreib nur, und ich schicke es ab. Vorerst sende ich Dir per Paket drei Nachthemden, die pelzbesetzten Hausschuhe und die Fotos. Aber wenn es Dir nichts ausmacht, lasse ich den Schnappschuß von uns beiden im galiläischen Bethlehem hier bei mir.« Diesem Brief entnahm Jael, daß Fima in die Scheidung einwilligte und keine Schwierigkeiten machen werde. Als sie jedoch in Jerusalem ankam, ihm einen grauen, trägen Typ mit zu breiten Kinnbacken und einer Stirn, an der ein Paar dicke Augenbrauen wie struppige Schnauzbarte wuchsen, vorstellte und sagte: Darf ich bekannt machen, das ist Efraim Nissan, und das ist Ted Tobias, laßt uns alle drei gut Freund sein, bereute Fima das Ganze und lehnte es nachdrücklich ab, sich scheiden zu lassen. Ted und Jael kehrten also nach Seattle zurück. Die Verbindung riß bis auf ein paar Luftpostbriefe und Postkarten zur Regelung unumgänglicher Angelegenheiten ab.
Viele Jahre später, Anfang 1982, erschienen Ted und Jael eines Winterabends bei Fima mit ihrem dreijährigen Sohn, einem nachdenklichen Albino, der leicht schielte, eine Brille mit dicken Gläsern trug und in einem amerikanischen Astronautenanzug steckte, an dem ein glitzerndes Metallschildchen mit der Aufschrift Challenger prangte. Dieser Kleine zeigte sich imstande, komplizierte Bedingungssätze zu formulieren und heiklen Fragen auszuweichen. Fima war sofort in den kleinen Dimmi Tobias vernarrt, gab daher seinen Widerstand auf und bot Jael und Ted Scheidung, Hilfe und Freundschaft an. Für Jael allerdings hatte die Scheidungssache jegliche Bedeutung verloren, und auch in der Freundschaft sah sie keinen Sinn mehr: In den vergangenen Jahren hatte sie sich bereits zweimal von Ted getrennt und Affären mit ein paar anderen Männern gehabt, bevor sie sich entschloß, zu Ted zurückzukehren und fast in allerletzter Minute noch Dimmi zur Welt zu bringen. Fima gewann das Herz des versonnenen Challengers mit einer Geschichte über einen räuberischen Wolf, der Raub und Gewalt zu entsagen beschloß und sich einer Hasenkolonie anschließen wollte. Als die Geschichte zu Ende war, schlug Dimmi seinerseits einen anderen Ausgang vor, der Fima logisch, feinfühlig und humorvoll erschien.
Unter Einschaltung von Fimas Vater wurde die Scheidung im stillen arrangiert. Ted und Jael ließen sich in Bet-Hakerem nieder, fanden beide Arbeit in einem Forschungsinstitut und teilten jedes Jahr in drei Teile: Sommer in Seattle, Herbst in Pasadena, Winter und Frühling in Jerusalem. Manchen Freitagabend luden sie Fima zu sich nach Hause ein, wo sich auch die Kropotkins, die Gefens und die übrigen Mitglieder der Gruppe versammelten. Zuweilen ließen sie Dimmi bei Fima in Kiriat Jovel und fuhren für zwei, drei Tage nach Elat oder Obergaliläa. Abends diente ihnen Fima als ehrenamtlicher Babysitter, weil er Zeit hatte und sich zwischen ihm und Dimmi eine Freundschaft entwickelte. Aufgrund einer sonderbaren Logik redete der Kleine Fima mit »Großvater« an – und Fimas Vater ebenso. Fima erwarb die Fertigkeit, aus Streichholzschachteln, Streichhölzern und Klebstoff Häuser, Burgen, Schlösser und Befestigungsanlagen mit Schießscharten zu basteln. Was völlig dem Bild widersprach, das seine Freunde, Jael und auch er selber sich von ihm machten – das Abbild eines Schlemihls, der mit zwei linken Händen auf die Welt gekommen war und niemals lernen würde, einen tropfenden Hahn zu reparieren oder einen Knopf anzunähen.
Neben Dimmi und seinen Eltern gehörten dem Kreis eine Reihe sympathischer, arrivierter Menschen an, die Fima teils schon aus Studentenzeiten kannten, seine Geißbockjahrerlebnisse von fern mitverfolgt hatten und zum Teil immer noch hofften, der Bursche werde eines Tages aufstehen, sich schütteln und auf die eine oder andere Weise Jerusalem in Taumel versetzen. Stimmt, manchmal geht er einem ein bißchen auf die Nerven,
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