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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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aufgeführt. Und zum Schluß hast Du sie mehr oder weniger aufgefordert, die Finger von Deinem Eigentum zu lassen, und hast sie aus dem Haus gejagt. Bis zu jenem Abend hat wenigstens ein Teil von mir Dich überreden wollen mitzukommen: Es heißt, die Landschaft um Seattle sei geradezu phantastisch. Fjorde. Schneeberge. Du hättest dort ein paar Vorlesungen an der Universität belegen können. Vielleicht hätten die Atmosphäre, die Landschaft, das Abgeschnittensein von Zeitungen und Nachrichten den verstopften Born geöffnet. Vielleicht hättest Du fern von Deinem Vater, von den Freunden und von Jerusalem endlich wieder angefangen, wirklich zu schreiben. Keine kleinlich polemischen Artikel voller Stiche und Bisse.
    Versuch zu verstehen, Effi. Ich weiß, daß ich in Deinen Augen immer so und so gewesen bin: Jael Levin, ein kleines Mädchen aus Javne’el. Etwas dumm, aber doch recht sympathisch. Eine nette beschränkte Frau. Aber unsere Ingenieure und auch die Amerikaner glauben, mein Projekt sei vielleicht entwicklungsfähig. Ich bin ihnen wichtig. Deshalb habe ich mich entschlossen zu fahren. Dir bin ich nicht wichtig, obwohl Du in mich verliebt bist. Oder in Deine Verliebtheit. Oder so in Deine Angelegenheiten versunken, daß Du weder Zeit noch Muße hast, mit der Liebe zu mir aufzuhören.
    Wenn du willst, dann komm. Ich schicke Dir ein Flugticket. Oder Dein Vater soll Dir eines kaufen. Und wenn Du nicht willst, werden wir sehen, was die Zeit ausrichten wird. Absichtlich habe ich hier den tiefsten Schmerz nicht erwähnt. Das, was sich nach Deiner Ansicht augenblicklich reparieren läßt. Das, worüber ich schweige und Du sogar auch. Vielleicht ist es gut, daß wir fern voneinander sind. Manchmal meine ich, nur ein schwerer Schlag, ein Unheil, könnte Dich noch aus dem Nebel herausholen. Von den ewigen Zeitungen, Debatten und Nachrichten weg. Früher bist Du tief gewesen, und jetzt lebst Du die meiste Zeit gewissermaßen flach und niedrig. Sei nicht gekränkt, Effi. Und fang auch nicht an zu suchen, wie Du alles, was hier steht, widerlegen könntest, welche Gegenargumente Du hast, wie man keinen Stein auf dem andern lassen und michbesiegen könnte. Nicht ich bin Deine Feindin. Ein Sieg würde Dir nichts nützen. Vielleicht versetzt Dir meine Amerikafahrt den Schlag, der Dich wieder zu Dir selbst zurückbringt. Okay. Das ist ein Klischee. Ich wußte, daß Du das sagen würdest. Sobald ich weg bin, steht es Dir frei, Dich zu verlieben. Oder Du kannst in mich verliebt bleiben, ohne im Winter meine vor dem Ofen trocknende Wäsche im Schlafzimmer dulden zu müssen. Und noch etwas: Versuch Dich zu konzentrieren. Nicht den ganzen Tag lang zu schwatzen und zu lärmen und alles und jeden zu korrigieren. Sei nicht ganz und gar nur eine heisere Kehle. Die Welt hört sowieso nicht zu. Vielleicht suchst Du Liat? Oder Ilia? Fährst nach Griechenland? Gelegentlich bleibe ich zwei Tage durchgehend am Arbeitsplatz, arbeite allein auch bei Nacht, esse im Stehen, um Zeit zu sparen, und dann habe ich plötzlich ...«
    Fima faltete den Brief ohne Anfang und Ende zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück. Den Umschlag schob er in die Mappe des Innenministeriums, Abteilung Gemeindeverwaltung. Die Mappe selber stopfte er wieder in die unterste Schublade. Es war schon nach halb vier. Ein Hahn krähte in der Ferne, ein hartnäckiger Hund bellte unablässig in der Dunkelheit, und der Blinde auf der leeren Straße pochte noch immer mit seinem Stock. Einen Augenblick meinte Fima den Muezzin aus der Richtung des Dorfes Bet-Zafafa rufen zu hören. Dann legte er sich wieder ins Bett, knipste das Licht aus, begann in Gedanken den fehlenden Schluß zu verfassen. Einen Moment später schlief er ein. Er hatte einen langen Tag hinter sich.

19.
Im Kloster
    Im Traum kam Uri ihn mitten in einem Schneesturm abholen, um von Annette Abschied zu nehmen, die wegen einer Komplikation bei der Niederkunft im englischen Marinehospital im Sterben lag. Sie fuhren mit dem Schlitten durch einen weißen Wald, bis sie das Gebäude erreichten, das einige Ähnlichkeit mit dem Kreuzkloster in Jerusalem hatte. Verwundete und Sterbende mit zerquetschten Gliedern versperrten den Durchgang, wanden sich stöhnend und blutend auf dem Boden in den Korridoren. Uri sagte: Das sind Kosaken, auf die darf man treten. Schließlich fandensie hinter dem Kloster einen hübschen kleinen Garten und darin eine griechische Taverne mit gedeckten Tischen unter dem Weinlaubdach. Zwischen

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