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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Streit über Politik sucht, so daß alle schon beten, er möge endlich gehen. Sogar Dein Äußeres wirkt irgendwie abgenutzt. Du bist ein bißchen dicker geworden,Effi. Vielleicht ist es nicht deine Schuld. Die Augen, die einst wach und träumerisch waren, sanken ein, und jetzt sind sie ausdruckslos. In Griechenland hast Du Liat und mich und Ilia ganze Nächte hindurch, von Mondaufgang bis Sonnenaufgang, wach gehalten mit Geschichten über die eleusinischen Mysterien, den Dionysoskult, die Göttinnen des Schicksals, die Moiren, und die Göttinnen der Rache, die Erinnyen, über Persephone in der Unterwelt und sagenhafte Flüsse, die Styx und Lethe hießen. Ich habe nichts vergessen, Effi. Ich bin eine gute Schülerin. Obwohl mir manchmal scheint, Du würdst Dich selbst an nichts mehr erinnern. Du hast Dich vergessen.
    Wir lagerten an einer Quelle, und du hast Flöte gespielt. Hast uns in Staunen versetzt. Faszinierend und auch ein wenig beängstigend. Ich weiß noch, daß Ilia und Liat Dir eines Abends einen Eichenlaubkranz um die Stirn gewunden haben. In jenem Moment hätte es mir überhaupt nichts ausgemacht, wenn Du vor meinen Augen mit einer von ihnen geschlafen hättest. Oder mit beiden. In jenem griechischen Frühling vor vier Jahren warst Du Dichter, obwohl Du kein Wort geschrieben hast. Jetzt bist Du jede Nacht auf und füllst Bögen, aber der Dichter ist weg.
    Was uns drei faszinierte, war Deine Hilflosigkeit. Einerseits ein geheimnisvoller Mensch, andererseits ein kleiner Kasper. So ein Junge, bei dem man hundertprozentig sicher sein kann, daß er, falls im gesamten Tal auch nur eine Glasscherbe liegt, barfuß hineintritt. Wenn in ganz Griechenland ein einziger Stein locker ist, er genau auf ihn stürzen wird. So es auf dem ganzen Balkan nur eine Hornisse gibt, sie gewiß ihn sticht. Wenn du vor einer Bauernhütte oder an einem Höhleneingang Flöte spieltest, entstand manchmal das Gefühl, Dein Leib sei nicht Leib, sondern Gedanke. Und umgekehrt – jedesmal, wenn Du nachts mit uns über Ideen sprachst, meinten wir, Deine Gedanken gewissermaßen mit dem Finger berühren zu können. Wir liebten Dich alle drei, und statt eifersüchtig zu sein, gewannen wir uns auch gegenseitig von Tag zu Tag mehr lieb. Es war ein Wunder. Liat schlief nachts gewissermaßen in unser dreier Namen mit Dir. Durch Liat schliefst Du auch mit mir und mit Ilia. Ich habe keine Erklärung dafür und brauche keine. Du hättest jede von uns dreien nehmen oder uns alle drei behalten können. Aber sobald Du gewählt hattest – und obwohl ich die Gewinnerin war –, erlosch der Zauber. Als Du uns nach Jerusalem einludst, um uns Deinem Vater vorzustellen, war der Zauber schon verflogen. Dann, als die Heiratsvorbereitungen begannen, wurdestDu müde. Zerstreut. Einmal hast Du mich in der Bank vergessen. Einmal hast du mich mit Ilia angesprochen. Als Du den verrückten Vertrag mit Deinem Vater unterzeichnetest, in Anwesenheit seines Notars, hast Du auf einmal gesagt: Goethe müßte jetzt hier sein und sehen, wie der Teufel seine Seele für ein Linsengericht verkauft. Dein Vater lachte, und ich nahm mich zusammen, um nicht loszuheulen. Dein Vater und ich haben alles geregelt, und Du hast gemurrt, das Leben versänke in Lampen und Bratpfannen. Einmal hast Du Dich aufgeregt und mich angeschrien, Du ertrügest kein Schlafzimmer ohne Vorhänge, sogar ein Bordell habe welche. Hast mit dem Fuß aufgestampft wie ein verzogenes Kind. Nicht, daß es mir was ausgemacht hätte – was sollte ich gegen Vorhänge haben? Aber jener Augenblick war das Ende von Griechenland. Nun fing Deine Kleinlichkeit an. Einmal hast Du mir eine Szene gemacht, von wegen ich würde Deines Vaters Geld vergeuden, und einmal von wegen das Geld Deines Vaters käme nicht rechtzeitig, und mehrmals von wegen ich müßte aufhören ›von wegen‹ zu sagen und anfangen ›weil‹ zu benutzen. Bei jedem dritten Satz hast du mein Hebräisch korrigiert.
    Es ist nicht leicht, an Deiner Seite zu leben. Wenn ich mir die Augenbrauen zupfe oder die Beine enthaare, guckst Du mich an, als hättst Du eine Spinne in deinem Salat gefunden. Aber wenn ich anmerke, daß Deine Strümpfe riechen, fängst du an zu jammern, ich würde Dich nicht mehr lieben. Jeden Abend muffelst Du rum, wer mit dem Müllruntertragen dran sei und wer gestern gespült habe und bei welchem Abwasch es mehr Geschirr gewesen sei. Und hinterher schimpfst Du, warum in diesem Haus tagein, tagaus nur über Geschirr und Müll

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