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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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den Tischen stand eine Art Himmelbett. Als Fima die Samtvorhänge beiseite schob, sah er seine Frau beim tränenreichen, aber leidenschaftlichen Verkehr mit einem mageren, dunklen Mann, der schwach jammernd unter ihr lag. Plötzlich ging ihm mit grauenhafter Helligkeit auf, daß sie mit einem Toten schlief. Und dieser Tote war der arabische Jüngling aus den Nachrichten, der, den wir in Gaza durch Kopfschuß ermordet hatten.

20.
Fima verirrt sich im Wald
    Nach der Eintragung ins Traumbuch kuschelte er sich unter die Decke und döste bis sieben. Zerknittert, zerzaust und vom Nachtgeruch seines Körpers angewidert, zwang er sich aufzustehen. Verzichtete auf die Morgengymnastik vorm Spiegel. Rasierte sich schrammenfrei. Trank zwei Tassen Kaffee. Schon der Gedanke an Marmeladebrot oder Joghurt verursachte ihm Sodbrennen. Er erinnerte sich verschwommen, daß er irgendeine dringende Angelegenheit erledigen mußte. Bloß wollte ihm partout nicht einfallen, was und warum es keinen Aufschub duldete. Deshalb beschloß er, zum Briefkasten hinunterzugehen, das Papier herauszuziehen, das er nachts darin erspäht hatte, und auch die Zeitung mit heraufzuholen, ihr aber nicht mehr als eine Viertelstunde zu widmen. Gleich danach würde er sich kompromißlos den Artikel vornehmen, den er in der Nacht nicht fertig bekommen hatte.
    Als er das Radio anstellte, begriff er, daß er die meisten Nachrichten schon hinter sich hatte. Im Tagesverlauf sei teilweise Aufklarung zu erwarten. Am Küstenstreifen seien vereinzelt Schauer möglich. Und in den nördlichen Talbereichen herrsche weiterhin starke Frostgefahr. Die Kraftfahrer würden vor Rutschgefahr auf nasser Fahrbahn gewarnt und gebeten, die Fahrgeschwindigkeit zu verringern und abruptes Bremsen sowie scharfe Kehrtwendungen so weit wie möglich zu vermeiden.
    Was haben die denn, schimpfte Fima. Was fallen die über mich her. Wer bin ich denn in ihren Augen? Ein Kraftfahrer? Ein Landwirt aus den nördlichen Talbereichen? Ein Schwimmer am Küstenstreifen? Was bitten und warnen die da, anstatt daß jemand Verantwortung übernimmt und einfachsagt: Ich bitte. Ich warne. Übrigens völliger Wahnsinn. Hier fällt alles auseinander, und die warnen vor Frost. Gerade abruptes Bremsen plus schärfster Kehrtwendung könnten uns vielleicht noch vor dem Unheil bewahren. Und selbst das ist höchst zweifelhaft.
    Fima stellte das Radio ab und rief Annette Tadmor an: Er schuldete ihr Abbitte für sein Verhalten. Zumindest mußte er Interesse für ihr Wohlergehen zeigen. Wer weiß, womöglich war ihr Mann seine italienische Operette schon leid und war nach Mitternacht plötzlich mit zwei Koffern beschämt und schuldbewußt wieder angekommen und vor ihr niedergefallen, um ihr die Füße zu küssen? Konnte sie ihm gebeichtet haben, was zwischen ihnen gewesen war? Würde er womöglich mit gezogener Pistole hier auftauchen?
    Durch die Macht der Gewohnheit und morgendlicher Benommenheit irrte Fima sich in der Nummer und erreichte dadurch nicht Annette, sondern Zwi Kropotkin. Der verlegen lachend sagte, er sei zwar momentan mitten beim Rasieren, habe sich aber bereits gefragt, was ist denn heute mit Fima? Ob er uns vergessen hat?
    Fima hatte die Ironie nicht herausgehört: »Wieso das denn, Zwicka. Ich hab’ euch nicht vergessen und werd’s auch nicht. Ich hab’ nur gedacht, ich ruf dich zur Abwechslung vielleicht mal nicht zu früh an. Siehst du, nach und nach bessere ich mich. Womöglich bin ich kein hoffnungsloser Fall.«
    Kropotkin versprach daraufhin, er werde sich nur fertig rasieren und Fima in fünf Minuten zurückrufen.
    Eine halbe Stunde später ließ Fima Ehre Ehre sein und wählte erneut Zwis Nummer: »Nun? Wer hat hier wen vergessen? Hast du zwei Minuten für mich übrig?« Worauf er, ohne die Antwort abzuwarten, sagte, er brauche einen kleinen Rat hinsichtlich des Artikels, den er in der Nacht zu schreiben begonnen habe und bei dem er nun heute morgen nicht mehr sicher sei, ob er ihm noch zustimmen könne. »Die Sache ist folgendermaßen: Vorgestern haben sie im Ha’arez die Grundthesen eines Vortrags von Günter Grass vor Studenten in Berlin wiedergegeben. Eine mutige, aufrechte Ansprache. Er verurteilte die Nazizeit und im weiteren auch sämtliche jetzt in Mode befindlichen Gleichsetzungsversuche zwischen den Greueltaten von heute und Hitlers Verbrechen. Einschließlich dem populären Vergleich zwischen Israel und Südafrika. Bis hierhin ist alles schön und gut.«
    »Fima«, warf Zwi ein,

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