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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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oder durch einen kleinen Handzettel, den ein unbeteiligter, armer, zerlumpter Straßenjunge für 50 Cents zustellte. Den Zettel mußte man, wenn man ihn gelesen hatte, sofort verbrennen, die Asche zwischen den Handflächen zerreiben und in den Wind werfen, wo sie spurlos verwehte. Der Junge blieb so lange stehen und beobachtete alles. Nur einmal war es vorgekommen, daß jemand den Zettel nicht verbrannte, sondern in die Tasche steckte. Daraufhin erlebten es die Teilnehmer dieses Treffens, wie der Unvorsichtige beim Eintritt in den vereinbarten Raum vor ihren Augen mit einem einzigen Schwertstreich geköpft wurde von einem Scharfrichter in einem altchinesischen, prunkvollen Gewand, mit Leder- und Eisenschützern an Armen, Brust und Beinen, mit weißgeschminktem Antlitz und dem Benehmen eines Mandarin. Die Hinrichtung ging wortlos vonstatten … was gab es auch noch zu besprechen, wenn man den Gehorsam verweigert hatte?
    Die anderen Beteiligten verneigten sich vor dem Toten, der Henker ging lautlos aus dem Raum, und dann begann die Zusammenkunft wie immer mit einer höflichen Begrüßung des Herrn Tschao, wie er sich nannte; das bedeutete: Sohn des Drachen.
    Allerdings: Sehen konnte man Herrn Tschao nie. Man hörte nur seine Stimme. Eine klare, fast schöne, klangvolle Stimme in der Mittellage, was auch bei Hongkong-Chinesen selten ist. Herr Tschao sprach ein Chengtu-Chinesisch, was aber nur noch ein Dialektfachmann heraushörte, so sehr hatte er sich dem Hongkong-Klang angepaßt. Wo man auch zusammentraf – auf einer Dschunke im Hafen von Aberdeen, in einem Hinterzimmer eines schwimmenden Restaurants, im Auswahlsaal eines der besten Bordelle in Kowloon, im dämmrigen Spielsalon einer dreckigen Kneipe von Tai Kok Tsu oder im mahagoniblitzenden Sitzungszimmer eines Geschäftshochhauses in Victoria –, immer mußte Herr Tschao hinter einem Bild oder einem Spiegel sitzen, wo er, selber unsichtbar für alle anderen, jeden sehen konnte. Ein uralter Trick, der aber noch immer die Anwesenden faszinierte und einschüchterte. Jeder wurde nervös vor diesen unsichtbaren Blicken. Man unterhielt sich mit einer Stimme, hinter der zwei Augen standen, die einen unablässig anzustarren schienen, so stellte man es sich vor – aber selbst blickte man ins Leere. Das konnte ein Herz wie mit Klammern umspannen!
    An diesem Nachmittag, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, hatte man sich ausnahmsweise an einem ziemlich schmutzigen Ort getroffen: in einer Lagerhalle der H. K. & Whampoa Docks an der Hung Hom Bay von Kowloon. Die Zusammengerufenen saßen auf Ballen und Kisten, blickten stumm geradeaus und warteten gespannt darauf, woher die Stimme des Herrn Tschao diesmal kommen würde.
    »Die Morgenröte des nächsten Tages beglücke Sie alle!« sagte Herr Tschao plötzlich aus einem Lautsprecher. Seine unheimlich verstärkte Stimme erfüllte den Raum und schien aus allen Richtungen auf die Zuhörer einzudringen. »Ein Ereignis ist eingetreten, das mich unglücklich macht. Was ist das Schädlichste für eine Kirschblüte? Ein Nachtfrost! Er weht heran aus dem fernen Norden. Aus einem Land, das unsere Achtung verdient, das in besten Beziehungen zu uns steht und dessen Freundschaft wir nie vermissen möchten. Ein Land, das bekannt ist für seine wissenschaftlichen und technischen Spitzenkräfte. Dieses Land – Sie wissen, daß ich Deutschland meine – hat einen Spezialisten nach Hongkong geschickt, der bisher in der medizinischen Forschung tätig war. Ein äußerst kluger und deshalb für uns sehr gefährlicher Mann. Im Auftrage des Gouverneurs kümmert er sich jetzt um die ›Tränen der Sterne‹. Er heißt Fritz Merker, wohnt im Ärztehaus des Queen Elizabeth Hospital und sitzt zu dieser Stunde am Bett von Mei Ling. Er kann nicht viel tun für sie, er kann nur ihrem Weggang von dieser Welt zusehen – aber seine Neugier und sein Wissen stören mich. Er hat Mei Ling Leberproben entnommen … er wird nichts finden! Er untersucht ihr Blut … lächerlich! Und er wird – das weiß ich – später auch ihr Gehirn durchforschen und hilflos davorstehen. Man könnte diesen Dr. Fritz Merker vergessen, wenn nicht, wie bei allen Rätseln in der Wissenschaft, ein Prozent – und wenn es ein hundertstel Prozent wäre – für die Möglichkeit spräche, das Unbekannte werde vielleicht doch enträtselt. Wer kann wissen, ob Dr. Merker nicht doch eines Tages Erfolg hat?«
    »Kein Mensch ist unsterblich«, sagte einer aus der Runde tonlos. »Wir übernehmen

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