Der Dschunken Doktor
ich tun?
Über die Wunderstrickleiter – sie hielt alle Patienten aus, obwohl sie eigentlich längst gerissen sein müßte – kletterte er wieder an Bord und stand unter der Menge der wartenden Kranken. Ehrfürchtig machten sie ihm Platz, bildeten eine Gasse bis zur Treppe. Ein Kind mit dicken Brandblasen im Gesicht kam ihm entgegen und streckte ihm das Händchen hin. Es lächelte …
Ich bleibe, dachte Dr. Merker. Ich muß bleiben!
Mr. John Sayman hatte sich vorgenommen, diesen Abend so zu erleben, wie man es von ihm als Hongkong-Tourist erwartete und wie der ›Club der Zwanzig‹ es von ihm hören wollte: Ein tolles Essen, ein noch tolleres Weib, eine ganz tolle Nacht mit allen asiatischen Freuden, kurzum – er wollte heute die Sau rauslassen!
Zwei wesentliche Voraussetzungen für diese rauschende Nacht hatte er bereits mit Einsatz guter Dollars geschaffen: Er saß an einem Tisch in der Nische des ›The Pink Giraffe‹; auf der halbrunden, etwas erhöhten Bühne spielte eine Band und sang eine schwedische Sängerin amerikanischen Jazz. Der Tisch war überladen mit Tellern und Gläsern und Speisen; und ihm gegenüber saß die zierliche und doch formenreiche Nummer 164, die ihn mit zwitschernder Stimme immer nur ›My Darling‹ nannte.
Mr. Sayman war glücklich. Mit Nummer 164 schien er einen guten Fang gemacht zu haben. Ihr Name rührte von einem Fotokatalog her, den man ihm bei der Hostess-Vermittlung ›Escort Limited‹ in Kowloon vorgelegt hatte und in dem man die schönsten Mädchen besichtigen konnte, nebst den Preisen, die sie wert waren. Sayman entschied sich für Nummer 164, bezahlte im voraus und ließ sich sagen, daß Nummer 164 natürlich von ihm noch privat eine kleine Dollarleistung erwarte. Seit einer Stunde war sie nun bei ihm, sagte, sie heiße eigentlich Pat, und strömte eine Zärtlichkeit aus, die Mr. Sayman geradezu paradiesisch vorkam. Die Nacht, die ihm bevorstand, entsprach mit Garantie dem, was man im Club von Taloga von ihm hören wollte.
Die Band spielte gerade einen sinnlichen Blues, und Mr. John Sayman überlegte, ob er mit Pat engumschlungen einen Schieber aufs Parkett legen sollte, als vor seinem Tisch eine freundliche Dame stand, ihn mit glänzenden Augen anstarrte und die vollen Lippen leicht öffnete.
Sayman dachte noch: Donnerwetter, hast du in Hongkong Chancen, du hättest dir Pat gar nicht zu kaufen brauchen, die Weiber kommen an den Tisch und schnalzen mit der Zunge, Junge, Junge! – Da öffnete die lächelnde Dame ihre Abendtasche, holte einen vernickelten kleinen Revolver hervor und hielt ihn Sayman an die Stirn.
Pat kreischte auf und ließ sich unter den Tisch fallen, vier Kellner stürzten in die Nische, die Band erhöhte geistesgegenwärtig ihre Phonzahl und donnerte die Musik in den weiten Raum. So hörte tatsächlich niemand den kurzen trockenen Knall, und auch Sayman selbst, der entgeistert auf den Lauf gestarrt hatte, spürte nur einen Hammerschlag gegen seine Stirn … dann war sein Leben ausgelöscht. Unter dem Tisch kreischte noch immer Pat und hielt geistesgegenwärtig die Beine der Dame umklammert. Aber das war gar nicht nötig. Die Schützin hatte nicht die Absicht zu fliehen, sie lächelte mild und ging willig mit, als man sie wegschleifen wollte.
Minuten später schrillte bei der Mordkommission Kowloon das Telefon. Kommissar Ting, der gerade auf dem Heimweg war, wurde per Funktelefon in seinem Wagen alarmiert und zurückgerufen.
»Ich habe es geahnt!« schrie er ins Telefon, während er wendete und zurück zum Hauptquartier raste. »Und wo ist jetzt Dr. Melkel? Ich wandere aus nach Europa und werde Müllfahrer in London!«
Es war wie immer, nicht um eine Nuance anders! Eine schweigsame, lächelnde Mörderin, um deren Identität man sich gar nicht zu kümmern brauchte – die war doch nicht festzustellen. Kleidung und Waffe würden ebenso unbekannt bleiben. Was die Schützin trug, war Kaufhausware, der Revolver kam aus Taiwan, der Schmuck Imitation und völlig wertlos. Auch Lippenstift, Puder, Make-up und Parfüm würden keine Hinweise ergeben; es waren Fabrikate, die zu Hunderttausenden in Hongkong angeboten wurden.
Ting Tse-tung verzichtete sogar darauf, die Mörderin zu fragen. Er ließ sie in das Polizeihauptquartier bringen, räumte ein Zimmer aus und stellte ein Bett hinein.
»Das hat es noch nie gegeben, bei keiner Polizei auf der Welt«, sagte er zu dem Polizeichef, der sofort ins Hauptquartier gekommen war. »Aber jetzt pfuscht mir
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