Der Dschunken Doktor
keiner mehr dazwischen. Das Mädchen kann auch hier sterben.«
»Sie sind verrückt, Ting«, stotterte der Polizeichef. »Das gibt ungeahnte Komplikationen. Das ist gegen jedes Gesetz. Eine Kranke gehört in ein Hospital. Wir haben kein Recht, sie hier festzuhalten und einfach sterben zu lassen, Ting! Allein der Gedanke: In einem Polizeizimmer läßt man eine Mörderin sterben! Was allein möglich ist: Sie muß in das Gefängnishospital überstellt werden.«
»Da habe ich keine Kontrolle mehr! Sie bleibt hier! Unter meinen Augen!«
»Wenn die Presse davon Wind bekommt … Ting, ich weiß von gar nichts! Sie haben das alles hinter meinem Rücken gemacht!«
»Selbstverständlich! Ich allein trage die Verantwortung.«
»Bei der Polizei ein Sterbezimmer!« Der Polizeichef sank auf einen Stuhl und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Ting, Sie sind wirklich ein Verrückter! Wie wollen Sie das je verantworten? Das Gesetz …«
»Unsere Gegner kennen keine Gesetze!«
»Aber wir schützen es! Dazu sind wir da!«
»Um an die Unbekannten heranzukommen, muß ich jetzt selbst gesetzlos sein. Sonst stehen wir von vornherein auf verlorenem Posten! Wir marschieren stramm in einer Zwangsjacke von Paragraphen, und unsere Gegner lachen lauthals darüber! Sie haben so immer die bessere Position! Wir haben das Gesetzbuch in der Tasche … die anderen die Maschinenpistole! Ich mache diese lächerliche Ungleichheit nicht mehr mit!« Ting blätterte in den ersten Protokollpapieren. »Sollen wir wieder das Gouvernement verständigen, Sir?«
»W as kommt dabei heraus? Endlose Konferenzen und die Hoffnung, daß wir es schaffen. Die Hoffnung können wir uns selbst geben!«
»Also Funkstille, Sir?«
»Ich würde anregen: Völlige Stille.«
»Und die Presse?«
»Ein Mord wie viele. Eine kurze Erklärung. Eifersucht. Das glaubt man immer. Wer ist der Tote?«
»Ein Mr. John Sayman aus Taloga in Oklahoma. Ein biederer Tourist, der sich für diese Nacht ein Mädchen namens Pat kaufte. Von der Escort Limited in der 57. Peking Road. Völlig legal. Wir haben Pat verhört. Sie kannte Sayman seit knapp einer Stunde. Sayman war von Beruf Immobilienmakler. Da müssen wir noch nachfassen. Es könnte sein, daß er in schmutzige Immobiliengeschäfte in Hongkong verwickelt war – dann hätten wir ein Motiv für den Mord. Aber so viel Glück ist unmöglich! In ein paar Tagen werden wir es an der Leber der Mörderin sehen, daß sie ein neues Glied in der Kette ist …«
»Und dann?«
»Doktol Melkel muß her! Hier hat er jetzt Präparate in Reinkultur, die ihm keiner mehr wegnehmen kann. Ich bin gespannt, was unsere Gegner anstellen werden, um an das Mädchen heranzukommen! Daß sie bei uns bleibt, damit rechnet keiner. Ich lasse niemanden an sie heran, und wenn es Mao Tse-tung wäre.«
»Der ist tot!« sagte der Polizeichef trocken.
»Eben! Keiner wird sie sehen … außer Doktol Melkel …«
Während sich die Mörderin gehorsam, mit einem seligen Lächeln, ins Bett legen ließ und hinter ihr die Tür des fensterlosen Raumes abgeschlossen wurde, fuhr durch die stille Straße, in der Ting Tse-tungs kleines Häuschen lag, ein weißlackierter Lieferwagen einer Kowlooner Wäscherei. Als der Fahrer das Haus erkannte, gab er Vollgas, der Wagen machte einen Satz und schoß mit einer irren Geschwindigkeit das letzte Stück der Straße hinunter, schleuderte, als der Fahrer das Steuer herumriß und das Fahrzeug gegen Tings Haus lenkte.
Mit einem gewaltigen Krach durchbrach es die Vorgartenmauer, schlingerte durch die Beete und prallte mit ungeheurer Gewalt gegen die Hauswand.
Es war wie der Einschlag einer riesigen Bombe. Der Wagen explodierte mit einem Knall und einer Druckwelle, die alle Fensterscheiben im weiten Umkreis zerplatzen ließ. In einer meterhohen Feuersäule flog Tings Haus durch die Luft, in tausend Teile auseinandergerissen. Nichts blieb mehr stehen als ein paar kleine Mauerreste und das Betonfundament. Im Umkreis von fünfzig Metern regneten die Steine und Möbelstücke von Tings Haus auf Häuser und Gärten, auf die Straße und in die Swimmingpools der Nachbarn herab. Schreie gellten, Menschen liefen in heller Panik davon. Fünf Minuten später gellten die Sirenen der Feuerwehr heran – sie war von jeher die am besten ausgebildete Truppe in Kowloon.
Wo der Wäschereiwagen gestanden hatte, war nur noch ein flacher Trichter zu sehen. Er war in kleinste Teile zerrissen worden, und es war anzunehmen, daß man von dem Fahrer nicht
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