Der Dschunken Doktor
Wort, daß Dr. Merker der Einbruch in das große Geheimnis gelungen war … aber jeder, den es anging, konnte es daraus lesen. ›Unschätzbare Dienste bei der Aufklärung‹ konnte man auf jede mögliche Weise interpretieren.
Merker hatte keine Ahnung von dieser Aktion. Auf Umwegen und einer spurenverwischenden Kreuz-und-quer-Fahrt von zwei Stunden erreichte er wieder die Dschunke von Dr. Mei, die nun seine Dschunke war.
An Deck das gewohnte Bild: Eine große Schar von Kranken, die sich für ein Nachtlager einrichteten. Rundherum die Sampans mit den Verwandten, die Essen und Decken brachten, ein ohrenbetäubendes Geschnatter und Geschrei. Dazwischen, aus dem Inneren des dicken, alten Schiffes, Grammophonmusik und Paukenschläge: Dr. Mei gönnte sich zum Tagesabschluß die Fünfte Sinfonie von Tschaikowski.
Merker kletterte an Bord, die Kranken verneigten sich tief und gaben eine Gasse zur Treppe frei. Unter Deck tobte mit voller Lautstärke ein Orchester, und die Paukeneinsätze donnerten wie Gewitter.
Dr. Mei saß schwitzend, aber glücklich hinter seinen Pauken und winkte Merker mit den Schlegeln zu, als dieser die Tür aufstieß. Erstaunlicherweise roch es nicht nach Alkohol, sondern nach frischer Farbe.
Mei rasselte einen Paukenwirbel herunter und stellte dann die Schallplatte ab.
»Tschaikowski, das ist mit das Höchste der Gefühle! Man spürt ihn an allen Faserenden der Nerven.«
»Es ist ein Wunder, daß dir das Trommelfell nicht platzt«, sagte Merker. »Es gibt Phonstärken, die krank machen.«
»So vieles ist wundersam an mir.« Dr. Mei zeigte auf die Segeltuchtasche, die Merker in der rechten Hand trug. »Sind das die Bilder?«
»Ja.« Er stellte die Tasche auf einen niedrigen Tisch. »Was hast du den ganzen Tag getan?«
»Der Schüler examiniert den Meister!« Dr. Mei breitete seine dicken Arme weit aus. »Ich habe neunundsiebzig Patienten untersucht und behandelt! Dort liegen die Eintragungen. Fünf Patienten waren so arm, daß sie nichts bringen konnten … ich habe sie angestellt, die Dschunke zu renovieren. Drei Räume sind frisch gestrichen. Einer weiß, der andere hellblau, der dritte rosa. Die Farbtöpfe waren innerhalb einer halben Stunde da, als ich an Deck sagte: ›Wer mir Gutes tun will, bringt mir Farbe für innen. Morgen für außen!‹ Husch – husch – wie die Mäuslein sprangen sie weg und kamen wieder mit Farben und Pinseln! Morgen streichen wir die Wände der Praxis und behandeln an Deck im Aufbau.«
»Wo ist Yang?« fragte Dr. Merker.
»Im ›Drachen von Canton‹. Sie verdient Geld.« Dr. Mei verließ seinen Sitz hinter den Pauken und kam um die Paukenkessel herum. »Ich habe vor dem Tschaikowski-Konzert auch noch eine vorläufige Bedarfsliste für eine Apotheke gemacht. Die brauchst du nur vorzulegen, aber man wird dich nach einer Bankgarantie fragen, ehe man dich bedient.« Mei rieb sich die Hände. »Ich bin dabei, Sachbezahlungen umzubiegen in Dollar. Ich habe ihnen erklärt: Diese Dschunke hier wird ein Hospitalschiff, aber nur, wenn alle mithelfen! Ihr seid alle Kommunisten, habe ich gesagt. Nun zeigt mal, was ihr darunter versteht. Sie haben geglotzt, und dann griffen ihre Weiber in den Sampans untern Rock und holten die Dollars heraus. Nach grober Übersicht haben wir heute 48 Dollar eingenommen. Für den Anfang ermutigend.« Mei stellte sich in Positur. »Nun sag nicht, ich hätte den Tag vertrödelt! So vielseitig war ich seit Jahren nicht!«
»Und getrunken?«
»Eine halbe Flasche Gin … für die Verdauung.«
Merker lachte und gab Mei einen Klaps gegen die fetten Wangen. Dann wurde er wieder ernst. Er öffnete die Segeltuchtasche und holte die drei in Kunstleder gebundenen Fotoalben heraus, die ihm Ting mitgegeben hatte. Mei ergriff einen Enterhaken, zog damit die von der Decke baumelnde Glühbirne heran und klemmte die Stange zwischen eine Stuhllehne.
»Wenn ich eine erkenne«, sagte er rauh, »ist eine Flasche Whisky fällig!«
»Mei, wir waren uns einig …«
»Zur Beruhigung, Fritz! Wenn ich mich aufrege, muß ich mich dämpfen!«
»Mit Alkohol!«
»Jeder hat seine eigene Methode!«
»Das Album beginnt mit einem Fall, der vor drei Jahren passierte«, sagte Dr. Merker.
Dr. Mei hob beide Hände. »Zwei Jahre nach dem Tod von Mei-tien! Vorher ist nichts?«
»Nein!«
»Wir haben eine Polizei mit Glasaugen!«
»Es ist vorher nie ein öffentlicher Mord unter diesen Umständen geschehen, Mei. Die Polizei kann nur untersuchen, was ihr bekannt ist.
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