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Der Dschunken Doktor

Der Dschunken Doktor

Titel: Der Dschunken Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und ist selig vor Glück. Sie hat ein eigenes kleines Wohnboot. Fahren wir mal hin …«
    Dr. Merker nickte ergeben. Obwohl ihm nicht klar war, was ein kleines blindes Blumenmädchen hier helfen konnte.
    Liang Tschangmao bewohnte einen umgebauten Sampan, dessen Wohnteil so niedrig war, daß man ihn nur auf den Knien rutschend betreten konnte. Sie schlief schon, wie eine Katze zusammengerollt, auf einem Lager aus Flechtmatten und einem Kissen aus Gänsedaunen. Aber sie schrak sofort hoch, als Dr. Meis Sampan an ihrem Boot anlegte und Mei hinüberkletterte. Ihr feines Gehör nahm jedes Geräusch auf. Außerdem begann Tim, ihr kleiner Hund, in dem alle Hunderassen Hongkongs vereinigt schienen, dumpf, tief und verhalten zu knurren … wiederum ein Zeichen, daß es kein Fremder war, der auf ihr Boot übergestiegen war.
    Sie kroch von ihrem Lager, rutschte in eine Ecke des nur anderthalb Meter hohen hölzernen Raumes und wartete. Sie hatte keine Feinde, jeder in Yau Ma Tei half ihr. Vor neun Jahren waren ihre Eltern mit einem kleinen Sampan angeblich zum Fischen hinausgefahren, in eine der Buchten der Stonecutters Insel – und nie wiedergekommen. Nachbarn versorgten das blinde Kind, nahmen es mit auf den Blumenmarkt. Es lernte, die Blumensorten zu ertasten und zu riechen, es lernte Zahlen und Rechnen, und mit zwölf Jahren wurde es von anderen Sampans in Schlepp genommen und zum Quai gezogen, baute dort aus alten Kisten einen Stand auf und verkaufte Blumen.
    Später zog die kleine, zierliche Liang Tschangmao ihre Kreise weiter. Sie hängte sich einen großen Flechtkorb um und lief von Kneipe zu Kneipe, von Nachtbars zu Sexclubs, von Nightclubs zu intimen Massagesalons. Da sie blind war, also nichts sehen und damit nichts verraten konnte, bekam sie überall Einlaß und verkaufte gut ihre Rosen und Chrysanthemen, ihre Orchideenrispen und ihre bunten Gestecke. Woran niemand dachte: Sie hörte alles. Sie hörte so vieles in den Jahren, was das Herz jedes Polizisten in Freudenzuckungen versetzt hätte, sie hörte von Millionengeschäften und großen Schuftereien, von Verschwörungen und Geschäftsvernichtungen, von Transaktionen und internationalen Betrügereien, von Rauschgiftwegen und Mädchenhandel, sie hörte den ganzen Schmutz, zu dem Menschen fähig sind … und schwieg.
    Die Stimmen, die all diese Gemeinheiten wiedergaben, und von denen sie einige immer wieder hörte, manchmal in genau bestimmten Abständen, gehörten ihren besten Kunden. Und sie traf sie immer in den gleichen Lokalen … in Edelbordellen, in geheimen Spielhöllen, in Bars und Clubs. Viele waren Stammgäste, andere traf sie an anderen Stellen wieder. Aber sie erkannte jede Stimme und wußte, wie sich der Mann oder die Frau benehmen würden, ohne Rücksicht auf sie – sie war ja blind und sah nichts.
    Sie kannte jedes Kichern und Lachen, Stöhnen und Seufzen; wußte, daß dieser Mann bei der Liebe unflätige Sätze schrie und ein anderer sich auspeitschen ließ; daß es einen gab, der mit Herr General angeredet werden wollte und vor dem fünf Mädchen im Kreis herummarschierten, bis er eine nach der anderen aufs Bett warf; und daß da eine Frau war, die ihren Liebhaber mit Himbeersahne bestrich und dann ableckte. Bei allen wurde sie ihre Blumen los … einem schmächtigen, verhungert aussehenden Mädchen kauft man in solchen Situationen gern eine Rose oder eine Orchidee ab. Auch die Besitzer der Lokale waren zufrieden. Sie kassierten von Liang zehn Prozent des Erlöses. Ob blind oder nicht … Geschäfte schlägt man nicht aus! Dafür führt man die blinde Kleine ja auch in die Zimmer und in die geheimsten Hinterräume, wo die Dollars locker sitzen.
    Jetzt, mit neunzehn Jahren, wußte Liang mehr, als Sehende jemals erfahren hätten. Sie hatte ihre festen Kunden, sie kannte genau ihre Eigenheiten, die Zeiten ihrer Besuche in den Bordellen oder Clubs, ihre Lieblingsblumen, sie roch, welche Parfüms sie bevorzugten und welche Worte sie immer wieder sagten, fügte sie zu ihren Charakteristiken. Fast konnte sie sich die Menschen nach den Stimmen vorstellen, obgleich sie ja gar nicht wußte, wie ein Mensch aussah. Sie hatte da eigene Studien getrieben, hatte die Menschen abgetastet wie die Gegenstände.
    Zuerst sich selbst, über Jahre hinweg, und hatte dabei entdeckt, daß Menschen sich verändern, daß sie größer werden. Dann hatte sie die lieben Nachbarn abgetastet und begriffen, daß es zwei Geschlechter gibt, und Dr. Mei hatte ihr erklärt, wie das so

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