Der Dschunken Doktor
bei Dr. Merker. Er legte den Zeigefinger auf den Mund und beugte sich über ihn. Merker blinzelte ihn schon halb schlafend an.
»Was ist? Wieder Mikrofone im Zimmer?«
»Man weiß nie. Sie waren drei Tage nicht da! Bleiben Sie jetzt hier?«
»Das wird sich entscheiden, wenn ich etwas geschlafen habe.«
»Was soll ich Yang sagen, wenn sie anruft?«
»Ich komme zurück, sagen Sie ihr das.«
»Zurück? Wohin?«
»Erwarten Sie darauf eine Antwort, Ting?«
»Ja! Sie haben kein Privatleben mehr. Das müssen Sie einsehen. Ich habe Sie jetzt wieder unter meinen Augen, und da kommen Sie auch nicht wieder weg! Noch einmal lasse ich Sie nicht ziehen!«
»Eine neue Form von Gefangenschaft?«
»Nein! Sie sind mein Faustpfand gegen das internationale Verbrechertum, das wir hier in Hongkong entdeckt haben! Übrigens, als ich ins Zimmer kam, lag ein Brief auf dem Boden. Unter der Tür durchgeschoben.«
»Machen Sie ihn auf, Sie neugieriger Quäler.«
Ting hob den Brief auf und wog ihn in der Hand. »Schweres Büttenpapier. Wären Sie Engländer, würde ich jetzt wetten, wer der Absender ist. Engländer wetten so gern.«
»Machen Sie auf.«
Ting schlitzte das Kuvert mit dem kleinen Finger auf und zog eine Karte heraus. »Aha!« sagte er laut. »Mr. James McLindlay und Miß Betty Harpers geben sich die Ehre … Ein Lampionfest im Schloß. Smoking oder altchinesisches Kostüm. Das wird ein ganz großer Renner. Da wird alles zusammenkommen, was in Hongkong die Milliarden hin und her schiebt. Sagen Sie zu, Flitz?«
»Nein. Ich habe keine Zeit.«
»Für so ein Fest sollte man immer Zeit haben! Wen man da alles trifft …«
»Ich habe kein Interesse daran.«
»Aber ich! Ich möchte, daß Sie sich dort ausstellen lassen … denn das wird es sein! Man will Sie sehen. Gehen Sie hin.«
»Ich überlege es mir.« Dr. Merker schloß die Augen. Das wäre eine Möglichkeit, Ting zu entkommen, dachte er. Ins Schloß kommen seine Beamten nicht hinein. Da hat James seine eigene Leibwache … und seine Tiger. Betty wird mir helfen, ungesehen das Fest zu verlassen und mich in die Stadt bringen. Dort übernimmt mich Yang. Wie das klingt … übernimmt. Aber anders kann man es nicht nennen. Was wohl Dr. Mei jetzt macht?
»Ting, lassen Sie mich allein!« sagte er mit unsicherer Stimme. »Gönnen Sie mir ein bißchen Schlaf …«
Ting nickte, legte wieder den Finger auf den Mund, schaltete das Radio aus und verließ das Zimmer. Vor die Tür postierte er zwei Kriminalbeamte. An Kummer gewöhnt, trugen sie schußsichere Nylonwesten.
Dr. Mei hatte sich damit abgefunden, daß er den nächsten Tag wieder allein praktizieren mußte. Yang hatte ihm mitgeteilt, Fritz müsse im Queen Elizabeth Hospital bleiben. Ein neuer Fall, wie bei Mei-tien, sei eingeliefert worden.
Dr. Mei regte sich darüber so auf, daß er kaum zurückzuhalten war, auch an Land zu gehen. »Ich muß die Tote sehen!« sagte er. »Alle sagen, sie sei eine Unbekannte. Vielleicht kenne ich sie? Ich kenne alle, die aus Yau Ma Tei kommen. Wenn es nun ein Mädchen von uns ist? Yang, ich würde sie sofort erkennen!«
»Fritz kümmert sich nur um die Obduktion.«
»Das ist ein Fehler, ein großer Fehler! Die Polizei kann weiterkommen, wenn man die Tote kennt.«
»Bisher waren es lauter Unbekannte, Dr. Mei.«
»Es hat mich ja auch keiner gefragt. Ich habe nicht gewußt, was da an Land passierte. Keiner hat etwas erzählt. Ich weiß nur, wie viele Menschen von den Dschunken verschwunden sind. Yang, ich sollte an Land gehen!«
»Tun Sie es nicht, Dr. Mei. Gefährden Sie nicht unsere ganze Stadt. Vielleicht kann Fritz Fotos mitbringen.«
»Das wäre gut, das wäre sehr gut, Yang.«
»Ich will versuchen, Fritz zu erreichen.«
Es stellte sich als unmöglich heraus, Dr. Merker im Queen Elizabeth Hospital zu sprechen. Er wurde abgeschirmt wie ein Staatspräsident, zumal Yang ihren Namen nicht nennen wollte. Erst als Ting Tse-tung sich einschaltete – das war gegen Mittag, und Merker saß wieder vor seinen Mikroskopen –, gab sie sich zu erkennen. Ting atmete hörbar auf.
»Auf Sie warte ich, Yang.«
»Das hört sich unangenehm an.«
»Ich muß Flitz hierbehalten. Er ist jetzt so wertvoll wie die englische Königskrone.«
»Und ich brauche Fritz bei mir.«
»Ich weiß, daß all meine Phantasie nicht ausreicht, die Wonnen Ihres Bettes zu beschreiben. Aber hier geht es um Staatsinteressen.«
»Bei mir auch!« Yangs Stimme klang geschäftlich kühl. »Mr. Ting, ich hätte es
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