Der Dschunken Doktor
unter Umständen in der Hand, das Inkognito Ihrer Mörderinnen zu lüften. Vielleicht – ich sage ganz vorsichtig ›vielleicht‹ – gibt es einen Mann, der einige von ihnen kennt.«
Es war eine Nachricht, die Ting auf den nächsten Stuhl zwang. »Ich sitze«, sagte er heiser vor Erregung. »Yang, Sie haben mir die Beine weggeschlagen. Wo ist der Mann?«
»Das weiß nur ich.«
»Ich lasse Sie sofort festnehmen.«
»Dann erfahren Sie es nie. Der Mann redet nur, wenn ich ihm zunicke.«
»Warum meldet er sich erst jetzt?«
»Weil er bisher keine Ahnung von den Vorfällen hatte. Die Polizei war ja sehr schweigsam.«
»Wir wollen auf jeden Fall eine Panik verhindern, Yang.« Ting holte tief Luft. »Der Mann ist kein Bluff von Ihnen?«
»Ein Vater, der auf so bestialische Weise seine Tochter verloren hat, ist kein Bluff.«
»Was sagen Sie da, Yang?« stöhnte Ting. »Es gibt einen Vater? Mein Herz beginnt zu zittern! Wir tappen seit nun zwei Jahren im dunkeln … und es gibt einen Vater …«
»Der Tod seiner Tochter ist der Polizei nicht bekannt.«
»Ich habe es geahnt!« schrie Ting. »Es gibt eine Dunkelziffer! Wo hat das Mädchen gemordet?«
»Es wollte. Aber es gelang nicht. Sie wollte den eigenen Vater umbringen. Als das mißlang, legte sie sich hin und starb an Leberzersetzung. Mit einem Lächeln …«
»Yang, treiben Sie mich nicht zum Wahnsinn!« Ting spürte tatsächlich, wie ein Zittern durch seinen Körper lief. »Ich muß den Mann sofort sprechen.«
»Fritz wird ihn sprechen, Mr. Ting.« Yangs Stimme klang sachlich. »Sie lassen Fritz wieder zu mir – und Sie erhalten Nachricht.«
»Das ist Erpressung, Yang!«
»Ich liebe Fritz. Er soll noch weiterleben.«
»Eine hundsgemeine Erpressung, Yang! Es gibt noch andere Wege.«
»Nicht zu dem Vater, der vielleicht Namen nennen kann.«
»Was verlangen Sie, Sie Satansweib?« sagte Ting ergeben.
»Ich lasse Fritz heute abend abholen. Wenn die Polizei ihn überwacht, erreichen Sie gar nichts. Sparen Sie sich Spitzel, Boote oder Hubschrauber … sie führen zu nichts. Und geben Sie Fritz Fotos aller unbekannten Mörderinnen mit. Sie haben doch Fotos von ihnen?«
»Ich bitte Sie! Das fragen Sie die Polizei. Jede Menge habe ich. Ich gebe Flitz drei Alben voll mit. Das war das einzige, was wir gründlich konnten: fotografieren.«
Ting atmete wieder ein paarmal tief durch. »Wann und wie wollen Sie Flitz abholen?«
»Ich rufe Sie noch einmal an.«
»Flitz hat für morgen abend eine Einladung zu McLindlay.«
»Ich weiß. Ich habe auch eine bekommen. Ich soll dort singen.«
»Und Sie gehen hin?«
»Ich habe ein Engagement. McLindlay bietet für meinen Auftritt 50.000 American-Dollars. Soll ich mir die entgehen lassen?«
»Dann werden Sie morgen mit Fritz kommen?«
»Nein, Flitz bleibt bei mir zu Hause. Mr. Ting, keine Sorge: Dort ist er so sicher wie die britische Krone im Tower!«
»Was bleibt mir anderes übrig, Yang«, sagte Ting ergeben. »Aber ich halte es nicht für gut, wenn Flitz der Einladung fernbleibt.«
»Und wenn Fritz an dem Abend etwas geschieht?«
»Nicht bei McLindlay! Die größten Gauner haben immer die weißeste Weste. Es wird keiner wagen, McLindlay so ins Gerede zu bringen. Dazu ist er zu mächtig in Hongkong! Überlegen Sie es sich, Yang. Ich gebe Flitz heute abend für Sie frei! Mit drei Fotoalben …«
Das Gespräch war damit beendet. Ting legte auf und merkte erst jetzt, daß er durchnäßt war von Schweiß.
Bevor Ting Tse-tung sein Wort hielt und Dr. Merker zurück zu Yang fahren ließ, startete er noch eine Aktion, von der Merker keine Ahnung hatte.
Ganz zufällig war ein Polizeifotograf dabei, als Ting beim Abschied seinen Freund Fritz umarmte, an sich drückte und auf beide Wangen küßte. Merker fand nichts Außergewöhnliches dabei. Ting hatte öfter solche Aufwallungen von Herzlichkeit, und heute wollte er dadurch seinen Dank für all die Mühe ausdrücken, die Merker gehabt hatte. Einen auswertbaren Erfolg hatte er immer noch nicht. Er glaubte auch nicht mehr daran.
Ting ließ die Bilder sofort entwickeln, vergrößern und an alle Hongkonger Zeitungen verschicken. Die Morgenausgaben brachten denn auch das Foto mit der Unterschrift:
›Der Leiter der Mordkommission von Kowloon, Kommissar Ting Tse-tung, bedankt sich bei dem deutschen Arzt und Forscher Dr. Fritz Merker für dessen unschätzbare Dienste bei der Aufklärung einiger rätselhafter Fälle in unserer Stadt.‹
Mehr nicht. Das war alles. Kein
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