Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Titel: Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rütten & Loening Verlag <Potsdam>
Vom Netzwerk:
Kapelle nie, denn für das Erdreich war er nicht bestimmt. Das letzte Lager der Gehängten befand sich in einem Massengrab draußen vor der Stadt.

3. Kapitel

    Darkness had no need
    Of aid from them.
    She was the universe.
    (Lord Byron, Darkness)
    Wie eine dicke, graue Decke drückte die Nebelbank auf die Schiffe und gaukelte dem Betrachter vor, sie habe Masten und Segel verschluckt. Doch es gab weder Masten noch Segel, nur diese lange Reihe miteinander vertäuter seeuntauglicher Schiffe, die der Teufel wie Perlen zu einer düsteren Kette aufgefädelt hatte. Und es gab den Nebel über den Wassern von Portsmouth …
    In den ersten Tagen hatte Penelope sich fast unentwegt erbrochen.
    »Gewöhn dich dran, du wirst nie wieder festen Boden unter den Füßen haben«, hatte einer der Fuhrknechte, der die Frauen mit einem Stock über die Planke auf das Schiff gejagt hatte, gemeint, als Penelope an ihm vorbeischwankte – todmüde und durchgefroren von der langen Fahrt durch Regen und Sturm auf einem Rumpelkarren. Der Kutscher hatte nur zum Pferdewechsel angehalten, eilig umgeschirrt, seine Notdurft an einem Baum verrichtet und war weitergefahren. Weil er bis zum Abend in Portsmouth sein musste, war nicht einmal Zeit für ein Glas Gin in der Taverne.
    »Einen lausigen Job hast du da«, hatte der Pferdeknecht gemeint. »Wenn du die Weiber wenigstens vögeln dürftest. Aber dazu sind zu viele auf dem Karren.« Der Kutscher hatte nur geflucht und den Gäulen die Peitsche gegeben, denn neuer Regen fiel vom Himmel und mehr als je zuvor auf so einer gottverdammten Weiberfahrt.
    Man hatte den Frauen nicht gesagt, wohin die Reise von London aus gehen würde, als man sie dicht nebeneinander mit Stricken an die Holzstreben des Karrens fesselte. Dann hatte eines der Weiber »Portsmouth« geflüstert. Niemand hatte eine Ahnung, woher sie das wusste. Eine der Frauen hatte geschrien. Der Fuhrknecht schlug sie ins Gesicht, dann war sie für den Rest der Reise still.
    Mary sorgte dafür, dass sie das Lager neben ihrer Tochter bekam. Der Boden in dem Winkel unter Deck, den man ihnen zugewiesen hatte, stank nach Penelopes Erbrochenem, das sie nicht wegwischen konnte, weil sie weder Lappen noch Wasser hatte. Der einzige Eimer in dem niedrigen Raum, wo sich die meisten Frauen nur gebückt bewegen konnten, schwappte von Exkrementen über. Ein Windstoß brachte das Schiff zum Schaukeln, und der Eimer schwappte über. Blankgeriebene Fesseln und platt gelegenes altes Stroh neben dem Eimer zeugten davon, dass erst kürzlich jemand hier gelegen hatte. Jetzt war der Platz leer.
    Ein bekanntes Gesicht aber entdeckte Penelope auf dem Schiff, und es kam ihr wie ein Wunder vor: Jenny, die alte Kotsammlerin aus Newgate, trat ihr aus einer dunklen Ecke entgegen. Ihr Lächeln tat gut, weil hier niemand lächelte.
    »Wie … wie kommst du hierher …?« Penelope war erstaunt und erschrak über ihre heimlichen Gedanken: Wieso hatte Caroline sterben müssen, und dieses alte Weib lebte noch?
    »Begnadigt haben sie mich.« Die Alte grinste. »Königliche Gnade nennen sie das, wenn ihnen der Strick für deinen Hals zu teuer ist und sie dich lieber auf ein Schiff zum Sterben abschieben. Du, Mädchen, wirst dich schon bald nach dem Strick sehnen.«
    Mary blickte ihrer Tochter kopfschüttelnd hinterher, als Penelope vor den Worten der Alten förmlich floh, über die Planken auf die andere Seite rutschte, wo sie nicht hingehörte, und sofort wieder zurückgetrieben wurde. Sie unterdrückte ihr Mitleid. Penelope musste lernen, wo ihr Platz war, wenn sie hier überleben wollte. Sie, Mary, hatte wie schon so oft in ihrem Leben einen Platz für sich gefunden – sie schwieg hartnäckig und genoss den Raum, den dieses Schweigen ihr eintrug, weil die Frauen sie ähnlich wie in Newgate zu fürchten begannen … Penelope würde ihren Platz selber finden müssen, die Reise ins Ungewisse fing ja erst an.
    Furcht tötet, so viel wusste Mary. Doch Härte wiederum tötet Furcht. Sie bereitete sich lieber vor. Das Gequatsche der Frauen ging ihr auf die Nerven. Jedes Detail wurde beredet, jedes Erlebnis, jede Kleinigkeit, die den einen Tag vom anderen unterschied. Ob mehr Regen gefallen war als gestern. Ob mehr Bohnen im Essen waren als letzte Woche. Manche bekamen Blähungen davon, andere schissen die Eimer voll. Sie quatschten von den Straßen, wo sie gelebt hatten, und von den Kerlen, die sie geliebt hatten. Manche Frauen weinten ihnen hinterher, andere weinten ihren Kindern

Weitere Kostenlose Bücher